Der fiese Telefonterror der Enkeltrickbetrüger
Im Polizeijargon heissen sie «Keiler», die Anrufer, die Opfer unter enormen Druck setzen. Die Anklageschrift im Fall eines verhafteten Paares aus Polen zeigt, wie sie vorgehen.

Vor dem Bezirksgericht Zürich steht am Donnerstag ein 41-jähriger Pole, der als mutmasslicher Enkeltrickbetrüger verhaftet wurde. Seine Lebenspartnerin muss sich eine Woche später vor Gericht verantworten, für die minderjährige Tochter ist die Jugendanwaltschaft zuständig. Dass gerade drei Personen im Zusammenhang mit Enkeltrickbetrug festgenommen werden können, ist selten, entsprechend umfangreich ist die Anklageschrift.
Das Paar trägt als Geldabholer das grösste Risiko während eines Enkeltrick-Betrugsversuchs. Die Anrufer hingegen, im Jargon «Keiler» genannt, befinden sich auf der oberen Hierarchiestufe des aus Polen operierenden Romaclans. Für ihr kriminelles Handwerk müssen sie fliessend und akzentfrei Hochdeutsch sprechen und benötigen psychologische Fähigkeiten, Überzeugungskunst und Charme. Keiler werden die Anrufer genannt, weil sie wie eine Wildsau mit der feinen Nase nach einer Beute stochern.
Eine dieser Anrufer, in der Anklageschrift Keilerin Annemarie genannt, rief im Januar um die Mittagszeit eine Rentnerin aus Winterthur an. Das Gespräch begann mit dem Standardsatz «Rate mal, wer am Telefon ist?» Als die Rentnerin meinte, eine in Deutschland lebende Bekannte namens Annemarie sei am Draht, war sie schon in den Fängen der Keilerin. Die Anruferin hatte die wichtigste Hürde überwunden, jetzt ging es nur noch darum, mittels Druck schnell an das Geld zu gelangen.
Von angeblichem Anwalt unter Druck gesetzt
Die Keilerin Annemarie bat ihre Bekannte aus Winterthur, ob sie ihr 180'000 Franken leihen könnte. Sie brauche das Geld notfallmässig, um ihre Wohnungsversteigerung zu stoppen. Da die Rentnerin zuerst ablehnte, fragte die Keilerin, ob ihr Advokat sie anrufen dürfe, was die Rentnerin bejahte. Unmittelbar danach rief ein Herr Meier an, der sich als Advokat und Anwalt ausgab – der zweite Keiler.
Er sagte, dass seine Mandantin das Geld bis 16 Uhr dringend benötige, und betonte, dass sie das Geld am nächsten Tag wieder zurückerhalte. Er setzte so lange Druck auf, bis die Rentnerin bereit war, 80'000 Franken abzuheben. Was nun folgte, war Telefonterror. Der Keiler Meier, welcher schon vorher die Handynummer der Frau verlangt hatte, instruierte, wie die Rentnerin das Geld bei der Bank abholen soll. Sie solle keine Fragen der Bankangestellten beantworten, wozu sie das Geld brauche, sagte ihr der Keiler. Anschliessend soll sie mit dem Zug nach Zürich fahren und an einem Ort in der Innenstadt das Geld übergeben.
Die Frau wurde von Meier und von Annemarie immer wieder angerufen. Laut dem zuständigen Staatsanwalt Cyrill Hüsser wurde die Rentnerin unter grossen Druck gesetzt: Einerseits wegen der permanenten Telefonanrufe, andererseits wegen Zeitdruck, musste doch die Geldübergabe gleichentags innert wenigen Stunden erfolgen. Diese Drucksituation sei bezeichnend für die Arbeitsweise der Enkeltrickbetrüger, sagt Hüsser. Die Opfer dürften sich keine weiteren Gedanken machen und müssen das Geld möglichst schnell übergeben.
Täter müssen arglistig vorgegangen sein
Zur Geldübergabe kam es zum Glück nicht. Warum, will Hüsser aus polizeitaktischen Gründen nicht sagen. Die Polizei konnte das Paar und die minderjährige Tochter verhaften. Hüsser klagt den 41-jährigen Polen wegen versuchten Betrugs und Gehilfenschaft zu versuchtem Betrug an. Er verlangt eine zu vollziehende Freiheitsstrafe von 20 Monaten und 10 Jahre Landesverweis. Der Mann soll nämlich noch in einen weiteren Fall involviert gewesen sein; ebenfalls als Fahrer. Für die Partnerin, die am 27. November vor Gericht steht, fordert Hüsser eine Strafe von 33 Monaten. Sie soll als Botin fungiert haben und war schon früher in gleich gelagerten Fällen in Basel und Bern beteiligt gewesen.
Betrug oder versuchter Betrug braucht gemäss Strafgesetzbuch das Tatbestandselement der Arglist. Nur wenn die Täter arglistig vorgegangen sind, können sie strafrechtlich belangt werden. Eine einfache Lüge alleine reicht für den Betrugsvorwurf nicht. Für Hüsser ist die Arglist mit der Drucksituation in Form des Telefonterrors gegeben.
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