Prekäre Verhältnisse in Syrien und IrakDer gefährliche Frust der Jugend
Der Anführer des «Islamischen Staates» ist für tot erklärt worden. Doch die Angst vor einem Wiederaufleben der Terrormiliz ist weiter da.

Es wäre schon der dritte Tod eines IS-Anführers in Folge: Am Mittwochabend verkündete die Terrormiliz «Islamischer Staat», dass ihr aus dem Irak stammender Anführer Abu al-Hasan al-Hashimi al-Qurashi im Kampf in der syrischen Provinz Daraa umgekommen ist. Der offizielle Sprecher der Gruppe, Abu Omar al-Muhajir, sagte in einer Audionachricht, Qurashi sei «im Kampf mit Feinden Gottes» getötet worden.
Die Nachricht vom Tod wird von vielen IS-Experten angezweifelt, sie sehen darin sogar eine Strategie der Terrormiliz. Omar Abu Layla, ein Syrien-Experte, der die unabhängige Nachrichtenplattform «Deir Ezzor 24» leitet, schreibt auf Twitter, der IS habe in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, die Gesellschaft zu täuschen, indem er verkündete, dass Kommandeure gestorben seien, um so ihre Aktivitäten zu vertuschen und internationale Geheimdienste zu verwirren.
Fest steht, der IS bleibt eine Bedrohung für die Region. Dies sieht auch die syrische Regierung so. Sie kontrolliert grosse Teile der im Süden des Landes gelegenen Daraa-Provinz und hat Mitte Oktober eine Offensive gegen die Miliz verkündet. Zusammen mit ehemaligen Rebellen habe man die Extremisten aus Daraa vertrieben, meldeten syrische staatliche Medien später, ohne das Schicksal des IS-Anführers zu erwähnen.
Kleine Gruppen von IS-Kämpfern verstecken sich
Vor allem in den dünn besiedelten Wüstengebieten Syriens und des Irak halten sich die nun in kleinen Gruppen operierenden IS-Kämpfer versteckt. Aufgrund der nur noch inkognito auftretenden IS-Führung hätten viele Anhänger den Bezug zu ihr verloren, berichtet der irakische Politiker Mohamed al-Mashhadani. Der 64-Jährige ist Chef eines sunnitischen Stammes in der Kleinstadt Tarmiyah nahe der Hauptstadt Bagdad.
Die dort lebende sunnitische Minderheit fühlt sich von der mehrheitlich schiitisch geprägten Regierung, vom Wohlstand und vom politischen Leben ausgeschlossen. «Als Folge schliessen sich in der Gegend immer wieder junge Männer dem ‹Islamischen Staat› an», sagt er. «Das ist ein lokales Phänomen, die IS-Anführer interessieren sie dabei nicht.»
Arbeitslosigkeit bestimmt das Leben vieler junger Männer
Obwohl der IS laut der irakischen Regierung offiziell besiegt ist, kontrollierten dessen Kämpfer oder Leute, die sich als solche ausgeben, nachts viele Zufahrtsstrassen in Orten wie Tarmiyah, berichten irakische Sicherheitskräfte in Bagdad. Zurzeit glaubt allerdings kaum jemand daran, dass der IS jemals wieder grössere Gebiete kontrollieren kann. «Doch viele vergessen dabei, dass Korruption und Arbeitslosigkeit unverändert das Leben junger Männer in der Region bestimmen», warnt Mashhadani. «Solange wir das nicht ändern, wird der IS eine tägliche Bedrohung bleiben.»
Einer der wichtigsten Partner der USA im Kampf gegen den IS glaubt, dass die Gefahr einer Rückkehr des IS sogar kurz bevorsteht: «Parallel zu den türkischen Artillerie- und Luftangriffen gegen kurdische Gruppen im Norden Syriens beobachten wir das Wiederaufleben von Schläferzellen», warnt Mazlum Kobanê, ein Kommandeur der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF).
Mehrere Tausend IS-Kämpfer befinden sich derzeit in Gefängnissen syrisch-kurdischer Milizen. Kurdische Kommandeure wie Kobanê fürchten, die angedrohte Bodenoffensive der Türken werde zur Flucht der Insassen führen. Ihre Operationen gegen den IS haben die SDF bereits eingestellt, um sich gegen einen möglichen türkischen Angriff zu wappnen.
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