Der geheimnisvolle Bunker
Auf der Landeskarte ist er verschwunden, im 3-D-Stadtplan auf kuriose Art verwischt: Ein Betonbau im Wald bei Winterthur gibt Rätsel auf.

Es hat etwas Unwirkliches: Wer an ihm vorbeiwandert, sieht ihn klar und deutlich. Aber auf der offiziellen Schweizer Landeskarte 1:25'000 sucht man ihn vergebens: den imposanten Betonbunker mitten in einem Wald westlich von Winterthur. Der Eingang zum Gebäude befindet sich nur wenige Meter vom Wanderweg entfernt und ist durch ein Gittertor abgesperrt. Kein Hinweisschild verrät, worum es sich beim Gebäude handelt – gehört es der Wasserversorgung, den Forstbetrieben, dem Militär?
Bis vor wenigen Jahren war der Bau noch auf der Landeskarte eingezeichnet. Doch in der neuesten Version fehlt er ebenso wie auf anderen Kartenportalen, dem amtlichen Vermessungsplan von Winterthur oder auf den hochauflösenden Luftaufnahmen im GIS-Browser des Kantons Zürich.
«Grüner Wasserfall» vor Bunker
Zwar bilden Karten dank neuer technischer Verfahren die Umgebung immer präziser ab. Dennoch scheint es blinde Flecken zu geben – sogar im Kanton Zürich. Seltsam wird es, wenn man den topmodernen 3-D-Ortsplan der Stadt Winterthur konsultiert. Dort tauchen die Rätsel-Bauten in verwischter Form auf – als ob sie von wuchernden Büschen überwachsen wären. Der «grüne Wasserfall» wirkt wie eine Szenerie aus dem Amazonas-Dschungel. Einzig auf 3-D-Aufnahmen von Google Earth ist die Eingangspartie des geheimnisvollen Gebäudes erkennbar.

Nach Angaben der Stadt Winterthur handelt es sich beim Gebäude um eine militärische Einrichtung. «Diese Anlage wird durch die Armee genutzt. Weitere Informationen können keine gemacht werden», bestätigt Kaj-Gunnar Sievert, Sprecher von Armasuisse. Und Achtung: Die Gebäude gelten als geheim. Ihr genauer Standort darf nicht genannt werden. Aus Sicherheitsgründen, so will es die Anlageschutzverordnung der Schweizer Armee. Sievert verweist auf die rechtliche Situation. Demnach darf alles, was von aussen ohne besondere Hilfsmittel oder spezielle Vorkehrungen wahrgenommen werden kann, ohne Bewilligung aufgenommen und veröffentlicht werden, «sofern die Veröffentlichung weder die Identifizierung des Standortes noch der Zweckbestimmung der Anlage erlaubt».
«Ein Kartenkuriosum»
Doch warum sind die real existierenden Bauten von der Landeskarte verschwunden? Laut Ruedi Bösch, Leiter Kommunikation im Bundesamt für Landestopografie (Swisstopo), stehen keine Geheimhaltungsgründe dahinter. «Im Rahmen der Landesaufnahme erfolgt seit Jahren keine Zensur mehr seitens Swisstopo», sagt er. Grundsätzlich würden alle Anlagen, die von aussen wahrnehmbar seien, etwa auf Luftbildern, in die topografischen Grundlagen aufgenommen. In diesem Fall seien die Gebäude von aussen, das heisst im Luftbild, nicht erkennbar, weshalb sie auch nicht aufgenommen worden seien.
Bösch spricht von einem Kartenkuriosum, das sich allerdings ziemlich rational erklären lasse. Demnach hängt das Verschwinden der beiden Gebäude auf der Landeskarte 1:25 000 mit veränderten Datenquellen und Aufnahmekriterien zusammen. Für die grossmassstäblichen Landeskarten verwendet Swisstopo seit ein paar Jahren das Topografische Landschaftsmodell (TLM) als Datenquelle. Dort sind die beiden Gebäude korrekterweise als unterirdische Gebäude deklariert. «Unterirdische Gebäude werden auf den Landeskarten nicht dargestellt, da diese in den allermeisten Fällen im Gelände auch nicht oder zumindest nicht gut sichtbar sind», sagt Bösch.
In älteren Ausgaben der Landeskarten sind die beiden Gebäude dagegen noch verzeichnet, weil die Daten damals noch aus anderen Quellen als dem TLM bezogen wurden und es die Unterscheidung ober- und unterirdisch noch nicht gab. Zudem waren die Bauten auch noch weniger stark überwachsen und besser erkennbar.
Militärisches Geheimnis?
Bösch verweist auf das aktuelle und ein älteres Luftbild der Gegend bei Winterthur, die auf der Swisstopo-Website abrufbar sind. Anhand des aktuellen Luftbildes wurde die Information im TLM erfasst. Dabei zeigt sich, wie das Gebäude im Terrain eingebettet und darum als unterirdisch deklariert ist. Im historischen Luftbild von 1990 ist die riesige Baustelle im Wald erkennbar. Bösch: «Eine Zensur kann schon allein durch die freie Verfügbarkeit dieses Luftbildes ausgeschlossen werden.»
Laut Robert Fritz vom Winterthurer Vermessungsamt sind die Regeln zur Dokumentation von militärischen Anlagen in der amtlichen Vermessung in einer speziellen Weisung festgelegt. Darin heisst es unter anderem, dass nicht wahrnehmbare Anlagen oder Teile davon in den Vermessungsakten nicht dargestellt werden dürfen. Doch wie kommt es zum kuriosen «Amazonas-Effekt» im 3-D-Stadtplan? «Die Kartengrundlagen werden nicht durch uns bereitgestellt, sondern durch den Anbieter des Portals», sagt Fritz.
Dabei handelt es sich um die US-Firma ESRI, einen weltweit tätigen Anbieter von Geo-Informationssystemen, der die Kartengrundlagen wiederum von weiteren Anbietern bezieht. Laut einem Sprecher von Esri Schweiz haben technische Gründe bei der Zusammenführung verschiedener Luft- und Satellitenaufnahmen zu der speziellen Darstellungsweise geführt. Es habe keine bewusste Nachbearbeitung oder Vertuschung aus Geheimhaltungsgründen gegeben, versichert er.
Die fehlende Pulverfabrik
Während es heute auf Landeskarten keine Zensur mehr gibt und Luftaufnahmen auf dem Web frei zugänglich sind, war dies noch vor wenigen Jahrzehnten anders. Als Beispiel erwähnt Ruedi Bösch von Swisstopo die Pulverfabrik Wimmis BE. Diese war ab den 1920er- Jahren in den Karten enthalten. Zur Zeit des Kalten Krieges, ab 1958, tauchte die Fabrik plötzlich nicht mehr in der Karte auf. In den Karten ab 1993 erscheint sie dann wieder. Ein Grund, weshalb ab den 1990er-Jahren alle Informationen auf der Landeskarte wieder sichtbar waren, war laut Bösch nebst dem Ende des Kalten Krieges die Entwicklung bei den Satellitenaufnahmen, mit denen man ohnehin weltweit Zugang zu Informationen aus der Luft bekam.
Ob es weitere «verschwundene» oder vom Erdboden verschluckte Gebäude wie jenes im Winterthurer Wald gibt, kann Bösch nicht sagen. Dazu bräuchte es einen minutiösen Vergleich früherer Karten mit heutigen, die auf der Basis der heute gültigen Erfassungsrichtlinien entstanden sind. Swisstopo führt keine Statistik, welche die Veränderung des Gebäudebestands von einer Kartenausgabe zur nächsten dokumentiert. «Die Fälle sind sicher nicht zahlreich, aber es gibt sie, auch im Siedlungsgebiet.»
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