Der halbe Unhold
Nie war ein Auftritt von François Hollande begieriger erwartet worden als gestern. Zu seiner Liebesgeschichte mit Julie Gayet nahm er kurz Stellung. Jeder weitere Kommentar wäre heikel gewesen.

Der Festsaal war gedrängt voll. Und wenn er mehr Plätze geboten hätte, dann wären auch die besetzt gewesen. Nie in seiner anderthalbjährigen Amtszeit als Präsident war ein Auftritt von François Hollande begieriger erwartet worden als seine gestrige Pressekonferenz im Elysée. Er ist kein grosser Redner, er neigt eher zur Monotonie. Selbst die Ankündigung, der Sozialist werde seinen Wandel zum Sozialdemokraten erklären, sein persönliches Bad Godesberg, hätte als Affiche nicht gereicht, um den Andrang nationaler und ausländischer Reporter zu befeuern. Gelockt hatte eine private Angelegenheit, die sich unheilvoll in die Agenda des Präsidenten geschoben hat: die Liebesaffäre mit einer hübschen Schauspielerin, dazu die Berichte über eine traurige Lebensgefährtin – ein würziges Drama aus dem banalen Leben. Darum war der Festsaal so voll.
Redet er? Redet er nicht? Nun, Hollande verzichtete darauf, seine Liebesgeschichte mit Julie Gayet, die das People-Magazin «Closer» letzte Woche mit einer Fotoreportage von der Pariser Rue du Cirque (welch passender Zufall im Namen!) enthüllt hatte, vor der Weltpresse zu kommentieren. «Jeder durchlebt in seinem Leben schwierige Momente», sagte Hollande auf eine Journalisten-Frage nach seiner offiziellen Lebenspartnerin, «auch wir. Doch das ist weder der Ort noch der Zeitpunkt, darüber zu sprechen. Ich habe ein festes Prinzip: Private Angelegenheiten müssen privat bleiben.» Vor seinem Staatsbesuch in den USA im Februar will er unterrichten, ob er allein oder zu zweit reisen werde.
Punkt. Jeder weitere Kommentar wäre heikel gewesen. Nur allzu gut erinnern sich die Franzosen daran, wie Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy seine Liebe zu Carla Bruni verkündete: «Avec Carla, c'est du sérieux», sagte er bei einer Pressekonferenz, ebenfalls im Festsaal des Elysée. Es hörte sich spätpubertär an.
Der «Fluch des Elysée»
Hollande hat da mehr Scham. Scham galt gar lange als einer seiner wichtigsten Charakterzüge. Als er nach der Macht griff, verhiess Hollande seinen Wählern, er werde das Private vom Öffentlichen trennen und das Amt von Staub und Prunk befreien, es normalisieren. Das Versprechen war ein Seitenhieb gegen Sarkozy. Der hatte sich mit seinem Storytelling, einem Mix aus glamouröser Seifenoper und kraftmeierischer Dauerrhetorik, täglich selber in Szene gesetzt. Samt Claque. Hollande wollte volksnaher sein.
Doch nun holen ihn die Geister ein, die dieses Amt offenbar schicksalshaft heimsuchen. Unter den oxidierenden Lüstern des Elysée reiften in den Herren Präsidenten immer schon ungehemmte Gelüste, auch triebhafte. Was die Macht doch mit Männern anstellt! Hollande versteckte sich hinter einem Motorradhelm, um sich zu seiner Mätresse zu stehlen. Vielleicht führen sich die Präsidenten deshalb so trivial menschlich und oft auch leichtfertig auf, weil sie so den überhöhten Status, den ihnen die Verfassung verleiht, etwas brechen können. Im Elysée befiel noch jeden Bewohner irgendwann das Gefühl, die irdische Schwerkraft habe keine Macht über ihn. Man kennt das Syndrom auch als «Fluch des Elysée».
Schürzenjäger
Valéry Giscard d'Estaing, François Mitterrand, Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy – alle jagten sie mehr oder weniger offenkundig die Schürzen von Ministerinnen, Journalistinnen oder Schauspielerinnen. Die Franzosen bekümmerte das nie. Sie sind mehrheitlich der Meinung, jeder habe das Recht auf einen «jardin secret», einen geheimen Garten, gerade in Liebesangelegenheiten. Da sind die Franzosen so tolerant wie kaum ein zweites Volk. Mögen andere Völker ihre Politiker auch wegen Seitensprüngen zum Teufel schicken: Für die Franzosen ist die stark ausgeprägte präsidiale Libido nur eine Nebenerscheinung der Macht, für viele gar ein statthafter Beleg für Virilität, jedenfalls kein Entlassungsgrund. Stattdessen wurde nun das Heft «Closer» gescholten, «fies» zu sein, weil es einen Paparazzo auf den Präsidenten angesetzt hatte.
Und so sagten unmittelbar nach der Enthüllung der Affäre über 80 Prozent der Franzosen in einer Umfrage, sie glaubten nicht, dass Hollande die Geschichte politisch schaden werde.
Etwas komplizierter wurde der Fall am Wochenende, als bekannt wurde, dass seine (noch) offizielle Lebensgefährtin, die Journalistin Valérie Trierweiler, hospitalisiert worden sei wegen ihrer Tristesse. Da stand der Präsident plötzlich wie ein halber Unhold da. Aber eben: nur wie ein halber Unhold. Frankreichs Politbetrieb ist nun eine Spur würziger.
Der Präsident wirkte gestern resoluter als gewohnt, wie angestachelt. Und darüber mag sich niemand ernsthaft beklagen.
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