Der Irrtum des türkischen Top-Spions
Der türkische Geheimdienst hat seinen deutschen Kollegen eine Liste möglicher Gülen-Anhänger übergeben – aber wohl nicht mit dieser Reaktion gerechnet.

Wenn der Chef des türkischen Auslandsgeheimdiensts MIT, Hakan Fidan, 48, heute mit seinem deutschen Gegenspieler zusammensitzt, wie zuletzt im Februar in München, dann sprechen die beiden als Partner. Mit Sympathie hat das nichts zu tun. Aber man sollte es nicht übersehen bei allem, was die Deutschen derzeit gegen Fidans Chef sagen, den türkischen Präsidenten Erdogan.
In einem Bericht des deutschen Aussenministeriums zur Türkei von Februar 2017 stehen klare Worte: «Die Regierung hat seit dem Putschversuch eine fast alles beherrschende nationalistische Atmosphäre geschaffen, die gleichermassen auf Furcht, Euphorie, Propaganda und nationale Einheit setzt.» Dennoch versuchen die Deutschen, den Draht zu den türkischen Sicherheitsbehörden nicht abreissen zu lassen. Man braucht sie für die Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staats. Man ist heilfroh, dass die Türken die Grenze zu Syrien inzwischen abgeriegelt haben und kontrollieren, wer als Rückkehrer unterwegs ist. Diese Zusammenarbeit funktioniere sogar richtig gut, heisst es.
Früher, erzählt ein Beamter, gab es bei jedem Treffen mit der türkischen Seite nur die vehemente Forderung, endlich etwas gegen die PKK-Anhänger in Deutschland zu tun. Inzwischen gibt es sogar zwei Forderungen: Etwas gegen die PKK und die Gülen-Anhänger zu tun.
Die Listen gegen die Andersdenkenden
So auch jüngst während der Münchner Sicherheitskonferenz: Da übergab der türkische Dienstchef dem deutschen eine Liste mit echten und vermeintlichen Gülen-Anhängern, mehr als 300 Leute, zudem mehr als 200 Vereine, Schulen und andere Einrichtungen in Deutschland. Dass er dachte, die Deutschen würden bei deren Verfolgung auf deutschem Boden auch noch helfen, zeigt, wie sehr beide Seiten inzwischen aneinander zweifeln. Und wie dringend sie ihr Verhältnis neu justieren müssen.
Denn die Deutschen haben genau das Gegenteil getan. Nach Informationen von «Süddeutscher Zeitung», NDR und WDR haben sie die Liste des türkischen Geheimdienstes genutzt, um die vermeintlichen Gülen-Anhänger vor eben diesem türkischen Geheimdienst zu warnen. So hat etwa in Niedersachsen die Spionageabwehr des Verfassungsschutzes diese Aufgabe für den deutschen Nachrichtendienst übernommen, in Nordrhein-Westfalen koordiniert das Landeskriminalamt eine sogenannte Gefährdeten-Ansprache.
Die türkische Regierung sieht in den Gülen-Anhängern die Drahtzieher hinter dem gescheiterten Putsch; Erdogans Regierung verfolgt sie als Terroristen. Die Deutschen sehen das eher als dürftig bemäntelte Repressionswelle gegen Regierungskritiker. Schon vor Monaten hat der Verfassungsschutz begonnen zu prüfen, ob auch AKP-nahe private Vereine in Deutschland den türkischen Auslandgeheimdienst bei dessen Spitzel-Arbeit unterstützen.
Wenn es um die Bekämpfung von echtem, etwa islamistischem Terror geht, arbeitet der deutsche Nachrichtendienst mit allen möglichen Regimen zusammen. Anders als in der Schweiz akzeptiert er grundsätzlich auch, wenn sie in Deutschland unter ihren Landsleuten spähen. Spionage wird erst dann als Straftat verfolgt, wenn sie sich als eine «geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland» richtet, also gegen deutsche Interessen.
Beweismittel auf dem Silbertablett serviert
Deutsche Interessen umfasst aber auch die Grundrechte der in Deutschland friedlich lebenden Ausländer, das hat der Staatsschutz-Senat des Bundesgerichtshofs vor zwei Jahren betont. Damals ging es um indische Geheimdienstler, die Exil-Oppositionelle ausspähten und einschüchterten.
So wird die neue Abgrenzung vom türkischen Geheimdienst nun auch mit Hilfe der Strafjustiz gezogen: Der Generalbundesanwalt hat bereits im Februar Räume der türkischen Religionsbehörde Ditib in Deutschland durchsuchen lassen; der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof sah einen Spionage-Verdacht als gegeben an. Aber offenbar wurden nicht ausreichend Beweismittel gefunden. Die anschliessend beantragten Haftbefehle lehnte der Richter ab.
Das könnte sich nun ändern, glauben Juristen wie Nikolaos Gazeas, der an der Uni Köln das Recht der Nachrichtendienste lehrt. Mit der Gülen-Liste habe der MIT-Chef den Deutschen neue Beweismittel gegen seine Agenten und Mittelsleute quasi auf dem Silbertablett serviert.
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