Der Klang soll sich wohlfühlen
Die ersten akustischen Tests in der Tonhalle Maag wurden durchgeführt. Der Konzertsaal eröffnet im September und ersetzt für drei Jahre die Tonhalle.

Ein Solist ist schon da. Rund und gelb ist er, steht auf drei Beinen und gibt nur reine Sinustöne von sich. Man hört also ein neutrales Pfeifen, ein Glissando von ganz tief zu ganz hoch, von der Kontrabass- bis in die Piccolo-Lage. Im Saal verteilt sind sechs Mikrofone, die an einen Computer übermitteln, was sie empfangen von diesen Signalen. Und die Akustiker hinter dem Computer nicken zufrieden: Sieht gut aus, die Kurve. Klarer Ansatz, gleichmässiges Verklingen. Keine störenden Echos, keine unerwünschten Ausschläge.
Diese Tests seien ungefähr so, «wie wenn man eine Wohnung erst mal grob reinigt,» sagt Karlheinz Müller dazu. Der Münchner vom Akustikbüro Müller-BBM gehört zu den renommiertesten Konzertsaal-Akustikern weltweit; er war dabei bei der Rekonstruktion des Teatro la Fenice in Venedig, bei der Gesamtrenovierung des Bayreuther Festspielhauses, beim Bau des Festspielhauses in Baden-Baden. Auch in der Schweiz setzt man auf seine Expertise, wo immer Säle überholt werden. Im Berner Stadttheater hat Müller-BBM die Akustik geprägt, derzeit begleitet man die Erneuerung des Basler Stadtcasinos; und in der Zürcher Tonhalle hat Müller unter anderem dafür gesorgt, dass die Stühle beim letzten Umbau nicht allzu dicke und damit schallschluckende Polster bekamen.
Jeder Saal ein Unikum
Nun steht er also in der Tonhalle Maag, die er von Anfang an mitgeplant hat, und hört sich das Gepfeife an. Er wird es noch oft tun in den nächsten Tagen, wenn man mit mehr oder weniger Stühlen auf dem Podium unterschiedliche Besetzungen simuliert. Und am Ende werden er und seine Kollegen wissen, welche Töne im Saal wie reflektiert werden; welche Frequenzen absorbiert werden, welche verstärkt. Sie werden auch die Fehlerquellen kennen, die Fugen und Materialien, die ungünstige Auswirkungen haben. «Aber der entscheidende Test sind dann die ersten Orchesterproben,» sagt Karlheinz Müller: «Erst da wird man tatsächlich hören, wie der Saal klingt, wie sich die Musik darin entfalten kann.»
Gut soll es klingen – auch wenn die Tonhalle Maag nur ein Ausweichsaal ist. Natürlich stelle man sich bei einer provisorischen Spielstätte immer die Frage, ob man ein Problem nicht auch mit preiswerten Materialien lösen könne, sagt Müller; nicht die edelste Variante wird hier gesucht, «das macht ja auch den Charme dieses Saals aus, dass er so schlicht ist.» Aber bei der Akustik gebe man sich dennoch «sehr, sehr viel Mühe»: Schliesslich sollen die Abonnenten nicht vergrault werden, auch das Orchester braucht gute Bedingungen. Drei Jahre in einem akustisch prekären Umfeld könnten dem Orchesterklang nachhaltig schaden.
Deshalb peilt man in der Maag-Halle eine Akustik an, die ähnlich sein soll wie in der Tonhalle. Ein kräftige, warme Akustik also, in der sich der Klang gut mischt. «Wenn man an die Tonhalle gewöhnt ist, werden einem viele neue Säle klanglich langweilig vorkommen,» sagt Müller. Wobei er zum Beispiel auch das klare, transparente und damit distanziertere Klangbild mag, das man im Luzerner KKL gesucht hat.

«Enttäuschend» findet er dagegen viele Säle, die in den letzten Jahren mit grossem Pomp eröffnet worden sind; darunter auch die Hamburger Elbphilharmonie, die einmal mehr gezeigt hat, wie hitzig über Akustik diskutiert werden kann. Für Karlheinz Müller ist das kaum erstaunlich: «In vergangenen Jahrhunderten hat man beim Bau von Konzertsälen weniger Experimente gemacht, man hielt sich bei den Formen und Materialien an gewisse Modelle. Da war eher absehbar, wie ein Saal klingt – und wenn er dann doch nichts taugte, hat man ihn halt irgendwann wieder abgerissen. Heute dagegen soll jeder Konzertsaal ein architektonisches Unikum sein; entsprechend sind auch die Akustiker jedes Mal neu herausgefordert.»
Knappes Volumen
Nun ist die Maag-Halle nicht die Elbphilharmonie, niemand will sich hier ein Denkmal setzen. Warum, so fragt man sich, gibt es keine Säle «ab Stange», die man als Interimsspielstätten irgendwo hinstellen könnte? Das Problem, sagt Karlheinz Müller, seien die Aussenhallen, in die solche Säle eingepasst werden müssen: «Es ist kaum zu glauben, wie unterschiedlich grosse Industriehallen sind.» Würde man einen kompletten Ersatzsaal bauen, wäre das weitaus teurer als ein Einbau in ein bestehendes Gebäude; aber dieser Einbau muss sich nach den vorgegebenen Massen richten.
Im Fall der Maag-Halle sind die Verhältnisse «ein bisschen eng», wie Müller sagt; «der Orchesterklang braucht Platz, um sich mischen zu können.» Damit das auch im relativ knappen Volumen dieses Saals klappt, hat man die Decke «sehr diffus gegliedert, sehr filigran, damit sich der Klang wohlfühlt.» Auch beweglich ist diese Decke. Nach den ersten Orchesterproben kann die Ausrichtung der Paneele noch verändert werden; damit lassen sich der Nachhall und die Streuung der Klänge optimieren. Und wenn das einmal nicht ganz ausreichen sollte, gibt es – wie mittlerweile in vielen Theatern – ein elektronisches Raumakustik-System, das ein wenig nachhelfen kann, ohne dass der Klang verstärkt würde.
Brandschutz trifft Akustik
In den nächsten Wochen wird man das nun alles austesten und feinjustieren. Der Zeitplan sei vernünftig, sagt Müller, «bis zur Saisoneröffnung am 27. September wird alles fertig sein.» Wenigstens in der Tonhalle Maag – in der eigentlichen Tonhalle geht es dann erst richtig los. Man sei da «etwa in der Hälfte der Abklärungen»: Viele Konzepte sind geschrieben, nun gilt es, ein endgültiges Bauprogramm auszuarbeiten.
Probleme werden zweifellos auftauchen. Nur schon, weil sich die Vorstellungen der Feuerpolizei und jene der Akustiker oft diametral entgegenstehen: «Vom Brandschutz her müsste man möglichst auf Holz verzichten; für den Klang dagegen wäre es gut, möglichst viele originale Materialien zu verwenden.» Da muss noch vieles ausgehandelt werden. Aber Karlheinz Müller ist zuversichtlich, dass man einen Weg finden wird; die 75 Prozent Zustimmung bei der Abstimmung über die Renovierung hätten dem Projekt «viel positiven Schub» gegeben.
Ausserdem steht für diese Renovierung so viel Geld zur Verfügung, wie man sich erhofft hatte. Denn in der Tonhalle Maag hat man das knappe Budget eingehalten: zehn Millionen Franken für alles, sechs davon für den Saal. Einzig bei der Sicherheit habe man keine Kompromisse gemacht, sagt Harald Echsle vom Architekturbüro Spillmann Echsle und grinst in Richtung der Akustiker. Die grinsen zurück: Ja, man habe viel getüftelt, bis man alles so hingekriegt habe, so gut und doch so «sensationell günstig». So ungewohnt die Herausforderung eines provisorischen Konzertsaals gewesen sein mag – es klingt, als habe sie allen Beteiligten Spass gemacht.
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