Etwas mehr als sechs Minuten brauchte der Schütze des Parkland-High-School-Shootings in Florida, um 17 Mitschüler zu töten. Die Aktivistin Emma Gonzalez fand dafür die stärksten Worte – nämlich gar keine. Bei ihrer Rede am Wochenende auf dem Capitol Hill in Washington schwieg sie sechs Minuten lang. Vor Hunderttausenden von Menschen stand sie auf der Bühne und sagte nichts. Das Schweigen war die stärkste Botschaft an diesem Nachmittag in Washington.
Jeder Redner weiss um die Kraft des Schweigens. Wie Sekunden sich unter dem Druck eines erwartungsvollen Publikums dehnen, wie Erwartung blitzschnell in Irritation umschlägt, wenn Worte fehlen, wie sich sofort andere Geräusche in den Raum schieben, um die Stille zu brechen. Denn wo Bedeutung erwartet wird, da entsteht notwendig Bedeutung, selbst wenn nichts gesagt wird.
Das wusste schon John Cage, als er «4?33?» komponierte, ein Stück für Piano, in dem exakt vier Minuten und dreiunddreissig Sekunden lang geschwiegen wird, oder werden sollte. Denn natürlich ist alles Mögliche zu hören: Hüsteln, Stühlerücken, das ferne Brausen des Verkehrs, was ja genau die Idee des Künstlers war. Stille komponiert ihre eigene Musik, oder wie Cage die Entstehung von «4?33?» einmal erklärte: «Ich entdeckte, dass die Stille nicht akustisch ist. Es ist eine Bewusstseinsveränderung, eine Wandlung.»
Auch in Washington gab das Schweigen dem, was rundherum geschah, die eigentliche Bedeutung. Zunächst vor Ort: Applaus brandete auf, das Publikum skandierte «Never again» und Gonzalez schwieg und weinte. Viele weinten mit ihr.
Ihr Schweigen zog aber noch weitere Kreise und provozierte die Rechte zu Aussagen, die den Zynismus der Waffenlobby entlarven und für zeigen, wie sehr Amerika im Umgang mit Waffen jenes andere Bewusstsein braucht, das die Demonstrantinnen und Demonstranten ausdrücken. Am Sonntag sagte der Republikaner Rick Santorum gegenüber CNN: Anstatt von anderen zu verlangen, ihre Probleme zu lösen, sollten die Demonstranten lieber das Wiederbeleben lernen oder sich überlegen, wie sie sich in einem Shooting korrekt verhalten.
Er hätte definitiv auch besser geschwiegen.
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Der lauteste Schrei ist still
Eine Aktivistin wählte die Stille als Botschaft. Sie zitierte damit eine Kunststrategie.