
Seit es Zeitungen gibt, bilden Leserbriefe darin die Stimme des Volkes ab. Die Leserschaft tritt so in einen Dialog mit den Redaktionen und greift zustimmend oder kritisch-korrigierend in die redaktionelle Arbeit ein. Leider ist diese Kommunikationsform gefährdet.
Dabei gehörten und gehören Leserbriefseiten zu den meistgelesenen Seiten in den gedruckten Zeitungen. Sie bilden eine Vielfalt von kritischen, kontradiktorischen oder zustimmenden Standpunkten ab. Sie bringen Stimmungen zum Ausdruck und sind ein politischer, gesellschaftlicher und sozialer Fiebermesser.
Überzeugend geschriebene Leserbriefe sind wahrnehmungsstarke Instrumente, um mit der Öffentlichkeit meinungsbildend zu kommunizieren.
Leserbriefe sind auch ein Gradmesser für die Akzeptanz und Qualität journalistischen Schaffens. Das macht sie für die Zeitungsmacher zu einem Instrument der Qualitätskontrolle. Die engagierte, gut informierte Leserschaft sieht sich wissens- und informationsmässig mit den professionellen Zeitungsmachern auf Augenhöhe. Gute Redaktionen nehmen sie ernst.
Leserinnen und Leser bringen aus ihren beruflichen, politischen oder sozialen Tätigkeiten Gegenwissen ein. Überzeugend geschriebene Leserbriefe sind wahrnehmungsstarke Instrumente, um mit der Öffentlichkeit meinungsbildend zu kommunizieren.
Die Reaktionen der Leserschaft zeigen den Redaktionen Relevanz und Bedeutung ihrer Artikel auf: Je zahlreicher die Reaktionen aus der Leserschaft ausfallen, desto bedeutender und kontroverser ist das Thema.
Befragungen und Untersuchungen zeigen immer wieder: Die auf den Leserbriefseiten ausgebreiteten Meinungen stossen auf grosses Interesse, mindestens so sehr wie redaktionelle Leitartikel und Kommentare.
Gerade darum werden Leserbriefe mitunter auch missbraucht und organisiert gesteuert. Sie werden von Parteien meinungsbildend und flächendeckend eingesetzt. Vor allem in den europapolitischen Abstimmungen machte die SVP dieses Instrument zu einem strategischen Politkampfelement. Das wurde von den Redaktionen lange nicht erkannt.
Die aktuelle Pandemielage sieht eine Wiederbelebung der Leserbriefe, die Corona-Massnahmen des Bundesrats werden kontrovers diskutiert.
Leserbriefschreiber setzen sich mit pointierten Standpunkten immer auch Risiken aus. Sie sehen sich nicht selten niveaulosen Angriffen ausgesetzt – nicht auf den Leserseiten, aber oft im privaten Rahmen, wo es zu unflätigen, boshaften bis bedrohlichen Abrechnungen kommen kann.
Die aktuelle Pandemielage sieht eine Wiederbelebung der Leserbriefe, die Corona-Massnahmen des Bundesrats werden kontrovers diskutiert. Das zeigt: Der Meinungsaustausch auf den Leserseiten hat für unsere direkte Demokratie und für die von der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit eine zentrale Bedeutung.
Aber leider wird in den Printmedien heute den Leserbriefen immer weniger Platz eingeräumt. Das führt zu einer Verarmung der Meinungsvielfalt.
Damit stellt sich die Frage der Zukunft von Leserbriefen in den Printmedien. Vor allem Männer, etwas seltener Frauen, im Alter ab 55 Jahren gehören zu den aktivsten und geübtesten Leserbriefschreibern. Erhebungen zeigen, dass sich die Leserschaft ebenfalls im gleichen Alterssegment bewegt.
Wissen, Sprachkultur und -qualität sind keine Voraussetzungen mehr, um mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.
Im digitalen und elektronischen Zeitalter ist der Leserbrief auch mit der Überalterung der Zeitungsleserschaft wohl leider ein Auslaufmodell. Der Leserbrief verliert an Bedeutung und Aufmerksamkeit. Er hat aber über Jahrhunderte die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Meinungsbildung geprägt und eine bedeutende prägende Diskussionskultur in den Zeitungen geschaffen.
Den elektronischen und sogenannt sozialen Medien wie Twitter, Facebook oder Instagram gehört wohl die Zukunft des persönlichen, politischen und gesellschaftlichen Austauschs jüngerer Generationen. Diese sind mit der Digitalisierung gross geworden, leider auch in einer Zeit des sprachlichen Qualitätsabbaus.
Verwässert wird damit auch die Qualität der Meinungsäusserung. Wissen, Sprachkultur und -qualität sind auf diesen Plattformen keine Voraussetzungen mehr, um mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren.
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Gastkommentar – Der Leserbrief ist vom Aussterben bedroht
Mit dem Niedergang der gedruckten Presse verlieren die Leserzuschriften an Bedeutung. Die sozialen Medien können das nicht ausgleichen.