Der letzte Überlebende des «Rosa Winkel»
Er war zwei Mal in Nazi-Gefängnissen inhaftiert und durchlebte 32 Monate lang die Hölle des Konzentrationslagers Buchenwald - und dies nur wegen seiner Homosexualität.

Nun, mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende, mit fast 97 Jahren, hat Rudolf Brazda sein Schweigen gebrochen. Der aller Wahrscheinlichkeit nach letzte Überlebende der homosexuellen KZ-Häftlinge veröffentlicht gemeinsam mit dem französischen Autor Jean-Luc Schwab seine Erinnerungen an die Verfolgungen im Nazi-Deutschland.
«Mein Leben war grausam, aber ich bin immer davongekommen», fasst der alte Mann sein Schicksal lächelnd zusammen. Für das Interview in seinem kleinen Haus im elsässischen Mülhausen hat Brazda ein rosa Hemd angezogen - zur Erinnerung an den «rosa Winkel», den er selbst und Tausende andere homosexuelle Häftlinge im KZ tragen mussten. «Dies ist die Farbe, mit der uns die Nazis abgestempelt haben», sagt er ironisch. «Daher trage ich besonders gerne Rosa».
Das Buch mit dem Titel «Itinéraire d'un triangle rose» (Lebensweg eines rosa Winkels) schildert anschaulich und detailliert, wie es Brazda in Nazi-Deutschland ergangen ist. Es berichtet von der harten Zwangsarbeit im KZ Buchenwald, vom allgegenwärtigen Tod, den Schlägen und den vielen Demütigungen, die gerade die Häftlinge mit dem rosa Winkel ertragen mussten. Jean-Luc Schwab hat aufgeschrieben, was ihm der für sein Alter noch sehr wache Brazda erzählt hat. Und er hat dessen Aussagen mit Dokumenten und Archivmaterial abgeglichen. Das Buch sei vor allem für die jungen Generationen gedacht, betont Brazda. «Damit sie lesen können, wie es uns ergangen ist.»
Brazda kommt als Wiederholungstäter nach Buchenwald
Geboren wurde Brazda 1913 in Sachsen, als Sohn einer deutschsprachigen tschechischen Familie. Bereits als Jugendlicher entdeckt er, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt - was der sogenannte Schwulenparagraph 175 unter Strafe stellte. Ein erstes Mal wird der junge Mann 1937 wegen «Unzuchts zwischen Männern» zu sechs Monaten Haft verurteilt. Nach der Entlassung wird er in die Tschechoslowakei abgeschoben.
Dort, nach der Annexion der Sudetengebiete durch Hitler, wird Brazda wieder wegen homosexueller Beziehungen verurteilt, dieses Mal zu 14 Monaten Haft. Und weil er als Wiederholungstäter gilt, kommt er anschliessend ins KZ Buchenwald. Dass er die 32 Monate in dem Lager überlebte, verdanke er viel Glück - und einer Freundschaft zu einem Aufseher, betont der alte Mann.
Wie Brazda wurden schätzungsweise 10'000 bis 15'000 Homosexuelle in KZs deportiert. Im Gegensatz zu anderen Häftlingsgruppen wurden sie nie entschädigt. Und das Schicksal der «rosa Winkel» war lange Zeit kaum bekannt, oder sogar tabu.
Ehrung durch Klaus Wowereit in Berlin
Erst ab den 80er Jahren befassten sich einige Bücher und Filme mit dem Thema. Und ein paar Betroffene brachen ihr Schweigen. Etwa der Elsässer Pierre Seel. In seinem 1996 auf Deutsch erschienenen Buch «Ich, Pierre Seel, deportiert und vergessen» schildert er seine Inhaftierung im «Erziehungslager» Schirmeck bei Strassburg.
Seit Kriegsende lebt Rudolf Brazda zurückgezogen im Elsass. Dort lernte er Edi kennen, der 50 Jahre lang seine grosse Liebe war und 2003 gestorben ist. Erst vor zwei Jahren entschloss er sich, über sein Schicksal zu sprechen. Damals hörte er, dass im Mai 2008 mitten in Berlin eine Gedenkstätte für die Männer mit dem rosa Winkel eröffnet wurde. Und dass die Organisatoren meinten, es gebe keine Überlebenden mehr.
Brazda machte auf sich aufmerksam - und wurde einen Monat später als Ehrengast zur Berliner «Gay Pride» geladen. Gemeinsam mit dem Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, der sich seit 2001 ebenfalls öffentlich zu seiner Homosexualität bekennt, legte er eine Blume an der Gedenkstätte nieder. Heute gehe es ihm sehr gut, versichert der 97-Jährige. «Die Homosexualität ist nicht mehr verboten, wir sind freie Menschen - und ich bin glücklich.»
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