Der Macho-Westernheld hat nichts mehr zu bestellen
Eine Begegnung mit Sofia Coppola, die mit Nicole Kidman in «The Beguiled» einen alten Clint-Eastwood-Film auf weiblich uminterpretiert.
Ist das ein Film über Kastration? Gute Frage. Im Zentrum von «The Beguiled» steht ein Mann, den es unter Frauen verschlägt. Er verführt eine um die andere, bis die Chefin ihm tatsächlich etwas absäbelt, auf das er grosse Stücke hält. Aber es ist – hm – nicht das, was man jetzt denken könnte. Und Sofia Coppola sagt auch sofort: «Nein, nein, daran habe ich nie gedacht.»
So richtig nimmt ihr das allerdings niemand ab. Aber man ist allgemein froh, dass etwas Leben in die Interviewrunde im Hotel Carlton von Cannes gekommen ist. Denn das Beantworten von Fragen gehörte noch nie zu den Lieblingsdisziplinen der Regisseurin von «Lost in Translation». Sie hat sich mit den Jahren eine Art Einschläferungstaktik zurechtgelegt, gibt mit ruhiger Stimme Auskunft, sehr korrekt, sehr nett, aber ohne grosse Regungen zu zeigen. Jetzt aber ereifert sie sich: «Das stammt von Don Siegel, der zu seinem ‹The Beguiled› vor vierzig Jahren erzählte, er habe einen Film über die Kastrationsgelüste von Frauen gemacht. Aber ich denke, das war eher seine ganz persönliche Männerfantasie.»
Sofia Coppola, 46, hat tatsächlich einen alten Macho-Western neu verfilmt. Hinter der Version von 1971 – deutsch hiess sie «Betrogen» – stand das Team, das im gleichen Jahr auch «Dirty Harry» herausbrachte: Clint Eastwood in der Hauptrolle und Don Siegel als Regisseur. Es geht um einen verwundeten Nordstaatenoffizier, der während des Sezessionskriegs im feindlichen Gebiet von einem pilzsuchenden Mädchen im Wald gefunden wird. Es nimmt ihn schliesslich mit in ein abgelegenes Mädchen-Internat, wo sich bald einmal die verschiedenen Bewohnerinnen um ihn balgen. Er bandelt mit ihnen an und versucht, sie gegeneinander auszuspielen. Der Macker.

Clint Eastwood mit Geraldine Page in der alten Version des Films.
Und jetzt also das weibliche Remake? Sofia Coppola wehrt ab, wieder in ihrem Sanft-aber-bestimmt-Modus: «Nie im Leben würde ich einen alten Film neu drehen wollen, das ist völlig überflüssig.» Sie habe vielmehr die alte Version gesehen, sei fasziniert gewesen vom Stoff. Darauf habe sie die literarische Vorlage von Thomas Cullinan hervorgenommen und von vorn begonnen. Ihr Film sei letztlich eine Neuverfilmung dieses Romans. «Kein Remake», betont sie noch einmal.
Sofia Coppolas Version wirkt weicher, weiblicher
«The Beguiled» in der neuen Version beginnt mit Nebel. Oder ist es Kriegspulverdampf? Auf alle Fälle sind wir in einem Wald, wo ein Mädchen beim Pilzsuchen diesen verwundeten Nordstaatensoldaten findet. Es nimmt ihn schliesslich mit in ein abgelegenes Mädchen-Internat, wo sich bald einmal die verschiedenen Bewohnerinnen um ihn balgen . . . ja halt, wo ist denn da der Unterschied? Das ist das Verrückte am neuen Sofia-Coppola-Film. Sie erzählt, manchmal bis ins Detail, die gleiche Geschichte wie Jahre zuvor Don Siegel. Aber ihre Version wirkt ganz anders, weicher, weiblicher. Und das nicht nur, weil bei ihr alles – ihr Markenzeichen – in pastellfarbene Farben getaucht ist. Nein, da ist mehr.

Nicole Kidman und Collin Farrell in der Verfilmung von Sofia Coppola.
Wie macht sie das nur? Das ist eine Frage, die die Tochter des grossen Francis Ford Coppola seit Beginn ihrer Karriere begleitet. Es ist eine Geschichte der permanenten Missverständnisse. Sie verliebte sich zum Beispiel so sehr in das Buch «The Virgin Suicides» von Jeffrey Eugenides, dass sie – gegen den Rat des Vaters – einfach eine Drehbuchversion schrieb, obwohl die Filmrechte längst vergeben waren. Und konnte so nach ein paar Umwegen 1998 tatsächlich einen Erstling präsentieren, der ihr alle Türen öffnete. Als dann 2006 ihre historische «Marie Antoinette» in Cannes gnadenlos ausgepfiffen wurde, rappelte sie sich sofort wieder auf (unterdessen ist der Film längst rehabilitiert). Und jetzt wandelt sie tatsächlich den «Beguiled»-Stoff zu etwas Eigenem um und bekam dafür im Mai – als zweite Frau überhaupt – den prestigeträchtigen Regiepreis von Cannes.
Wie macht sie das nur? Eine naheliegende Antwort ist die: Sofia ist im wahrsten Sinn des Wortes mit Kino getauft worden, ihr erster Kameraauftritt war der als Täufling in der fulminanten Schlussmontage des «Paten», mit dem ihr Vater 1972 berühmt wurde. Eine ihrer ersten Kindheitserinnerungen ist die von Helikoptergeräuschen auf den Philippinen, wo der Papa ein Jahr lang «Apocalypse Now» drehte. Und als Winona Ryder 1990 keine Lust mehr hatte, im «Paten III» zu spielen, sprang sie auf Wunsch des Vaters ein. Und steckte die Verrisse, die es absetzte, mit einem Lächeln weg.
Mehr Frauen als Männer beschäftigt
«Mein Vater ist mein grösster Förderer, er hat mich ermuntert, meinen eigenen Stil zu finden», sagt sie. Aber sie ist nicht einfach eine fille à papa, im Gegenteil, es ist zu merken, dass sie erst in der Auseinandersetzung mit ihm zu sich selbst fand (und unterdessen längst die besseren Filme macht als er heute). Zu ihrem eigenen Stil gehört das Vertrauen in Frauen, die Darstellerin Kirsten Dunst zum Beispiel, die in vier ihrer sieben Spielfilme dabei war – und jetzt in «The Beguiled» eine verschlossene und irgendwie verletzte Lehrerin spielt.
«Vor der Kamera und dahinter sind in meinen Filmen in der Regel mehr Frauen als Männer beschäftigt», sagt sie lapidar. Das sei kein politisches Bekenntnis, sondern einfach die Art, wie sie am besten arbeite. Deshalb bewohnen ein paar äusserst talentierte junge Mädchen das Internat. Und dazu Elle Fanning als hinterhältige Verführerin. Sowie Nicole Kidman als strenge Leiterin des Hauses. Sie war nie so gut in den letzten Jahren wie in der Szene, in der es eben um die Kastration, Pardon, das Absäbeln eines Gliedes geht.

Eindeutig mehr Frauen als Männer vor der Kamera.
Ah, und der einzige Mann? Den spielt Colin Farrell in einer bemerkenswerten Mischung aus Trotz und im Keim erstickten Anflügen von Männlichkeit. Sofia Coppola spricht wieder ganz monoton, erzählt lang und breit, wie sie mit ihm gearbeitet habe, lobt den Kameramann, die Ausstattungsfrau, alle waren gut und . . .
Da wird es dem holländischen Kollegen in der Runde zu harmonisch. «Darf ich die böse Frage stellen?», fragt er. Sie: «Wenn es keine gemeine Frage ist.» Er: «Stört es Sie nicht, Schauspielerinnen zu besetzen, bei denen man sieht, dass sie Botox verwendet haben?» Sie: «Ich glaube, alle sehen wunderschön aus im Film.» Er: «Aber es ist ein historischer Film und . . .» Sie (fällt ihm ins Wort): «Ich weiss, was Sie meinen. Aber die Frauen passen perfekt. Und was Sie antönen, sind persönliche Entscheidungen der Darstellerinnen. Die kommentiere ich nicht.»
So ist es richtig. Sofia Coppola lässt sich durch Provokationen zwar etwas aus der Reserve locken, gibt sich aber keine Blösse. Sie zieht ihr Ding durch. Und am Ende wird daraus ein hervorragender eigener Film namens «The Beguiled», dessen deutscher Titel bei ihr nicht mehr «Betrogen» heisst. Sondern «Die Verführten».
«The Beguiled»: ab 29. Juni im Kino
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