
Die Gewerkschaften haben kürzlich klargestellt, was sie von den Bürgerlichen und der Wirtschaft als Konzession erwarten, damit sie sich allenfalls bereit zeigen, einem neuen Rahmenabkommen zuzustimmen: Etwas plakativ gesagt verlangen sie nichts weniger als die Abschaffung des liberalen schweizerischen Arbeitsmarktes, wie wir ihn kennen. Das geht aus einem Schreiben der Gewerkschaften an das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sowie die Wirtschaftsverbände hervor, das der «Nebelspalter» diese Woche bekannt gemacht hat.
Konkret klingt das natürlich alles viel differenzierter: Unter anderem möchten die Gewerkschaften mehr Gesamtarbeitsverträge (GAV) mit Mindestlöhnen, was sie nur bekommen, wenn diese leichter als «allgemeinverbindlich» erklärt werden können. Darunter versteht man das interessante Phänomen, dass Firmen und Arbeitnehmer dazu genötigt werden, einen GAV einzuhalten, selbst wenn sie nicht Mitglied irgendeines Verbandes oder einer Gewerkschaft sind. Heute stehen dieser sogenannten Allgemeinverbindlichkeit gewisse Hürden entgegen: Sie wird in der Regel nur gewährt, wenn drei Bedingungen erfüllt sind. Erstens hat eine Mehrheit der Firmen in der fraglichen Branche einem der Verbände anzugehören, die einen solchen Antrag stellen. Zweitens ist es erforderlich, dass eine Mehrheit der betroffenen Arbeitnehmer bei diesen Firmen auf der Lohnliste steht, und drittens müssen auch mehr als die Hälfte dieser Arbeitnehmer bei einer Gewerkschaft organisiert sein. Schliesslich sind alle drei Mehrheiten davon zu überzeugen, dass man überhaupt einen allgemeinverbindlichen GAV wünscht.
Man kann es kaltblütiges Verhandeln nennen, andere sprechen von «Erpressung».
Das wirkt demokratisch – und ist es auch. Wenn es allerdings nach den Gewerkschaften geht, ist es zu demokratisch, zumal ihnen seit Jahren die Mitglieder davonlaufen, weshalb es ihnen schwerfällt, mit den verbliebenen Minderheiten, die sie noch vertreten, eine Allgemeinverbindlichkeit zu erzwingen. Umso mehr haben sie versucht, diese Quoren zu beseitigen, stets ohne Erfolg. Wenn sich ihre Verhandlungsposition nun schlagartig verbessert hat, dann liegt das am Rahmenabkommen, das, bereits einmal durchgefallen, nun eine Reprise erleben soll. Bisher galt dieser neue, sehr weitgehende Vertrag mit der EU keinesfalls als mehrheitsfähig, da sowohl SVP als auch Gewerkschaften ihn (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen) abgelehnt hatten. Nun, so macht es den Anschein, ist bei den Gewerkschaften die Meinungstektonik etwas in Bewegung geraten – warum, ist unklar; wozu es führt, klarer.
Man kann es kaltblütiges Verhandeln nennen, andere sprechen von «Erpressung», alle – ausser der Linken – zeigen sich nervös. Nervös sind FDP und Wirtschaftsverbände, da sie kaum darauf einsteigen dürfen, es sei denn, sie würfen sämtliche ihrer liberalen Glaubensbekenntnisse auf den Misthaufen der Geschichte; nervös muss sich aber genauso die SVP fühlen, denn sollten die Gewerkschaften in die Europa-Allianz zurückkehren, ein Bündnis, das irgendwann in die EU führen wird, ohne dass wir das wirklich wollen – dann gute Nacht SVP, die als Einzige sich dagegenstemmt. Zwar mag ihr das bei Wahlen helfen, eine bürgerliche Hegemonie, eine Rückkehr zu den glücklichen Mehrheitsverhältnissen, die einst die Schweiz gross gemacht haben, rückt gleichwohl in weite Ferne.
Wie schlimm wäre ein Nachgeben? Sehr schlimm. Wenn es eine angeblich soziale Massnahme gibt, die in ihrer Wirkung zutiefst unsozial ist, dann der Mindestlohn, den die Gewerkschaften nun via allgemeinverbindliche GAV durchsetzen möchten: Gewiss, wer eine Stelle hat, mag sich über einen höheren Lohn freuen, wer aber Arbeit sucht und nicht gerade gut ausgebildet ist, wird bald feststellen, dass es immer weniger Möglichkeiten für ihn gibt. Wenn Unternehmen für einen Mitarbeiter mehr bezahlen müssen, als der für sie zu leisten vermag, werden sie diesen gar nicht erst einstellen, sondern lieber eine Maschine einsetzen oder den Betrieb schliessen. Mindestlöhne vernichten Arbeitsplätze – und die Länder sind Legion, wo sich statt besseren Löhnen für die Schwächsten einfach grössere Arbeitslosigkeit unter den Schwächsten festsetzte. Interessanterweise verstehen die meisten Leute – ausser sie sind links – diesen Zusammenhang. Oft genug haben wir über einen nationalen Mindestlohn abgestimmt – und ihn verworfen. Zuletzt 2014, als sage und schreibe 76,3 Prozent der Schweizer nichts davon wissen wollten.
Kurz, was die Gewerkschaften verlangen, um in das Rahmenabkommen einzuwilligen, ist nicht nur unsozial, sondern ebenso undemokratisch.
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Kolumne von Markus Somm – Der Mindestlohn tötet Arbeitsplätze
Die Gewerkschaften stellen Bedingungen auf, unter welchen sie einer Neuauflage des Rahmenabkommens zustimmen. Sie würden die Abschaffung des liberalen schweizerischen Arbeitsmarktes bedeuten.