Der nächste Rechtsrutsch in Europa
Tschechien wählt heute ein neues Parlament. Der schwerreiche Medienmogul und Populist Andrej Babis ist trotz Betrugsverdacht der Favorit.

Es war ein frustrierendes Klinkenputzen, als Lukas Wagenknecht bei tschechischen Politikern für eine Reform warb. Wirtschaftsprüfer Wagenknecht schlug ein modernisiertes Gesetz zur Kontrolle öffentlicher Ausgaben vor, einschliesslich besserer Kontrolle milliardenschwerer EU-Subventionen im zehn Millionen Einwohner zählenden Tschechien, das in vergangenen Jahren oft von Skandalen beim Zusammenspiel zwischen Wirtschaft und Politik erschüttert wurde. «Aber kein Politiker war interessiert», beschreibt der 39 Jahre alte Wagenknecht die Reaktion.
Dann stellte Wagenknecht, Mitglied der Bürgergruppe «Gutes Regieren», seinen Plan Andrej Babis vor. Der Multimilliardär und zweitreichste Tscheche ist entschlossen, sich neben seinem Konzern Agrofert auch um Tschechiens Politik zu kümmern. «Babis war der erste Politiker, der positiv reagierte», erinnert sich Wagenknecht. «Zum ersten Mal hatte ich den Eindruck, dass jemand grundlegend mehr Transparenz in die Politik bringen wollte.»
Unternehmer Babis versprach – im Stil eines tschechischen Donald Trump – einen neuen, ehrlichen Stil in der Politik, «harte Arbeit» und die Reinigung des Landes von Korruption. Ende 2013 wurde Babis mit seiner neuen Partei ANO überraschender Wahlzweiter. Und er zog neben den erstplatzierten Sozialdemokraten als Finanzminister und Vizepremier in die Regierung ein. Lukas Wagenknecht wurde sein Stellvertreter.
«Babis ist nur ein Politiker wie andere»
Doch die Gesetzesreform blieb ebenso aus wie ein öffentliches Ausschreibungs- und Vergaberegister. Auch mit Transparenz war es unter Minister Babis nicht weit her, wie Wagenknecht im Gespräch erklärt. Im Gegenteil habe Babis etwa einen seiner Bekannten ohne Ausschreibung für die Steuerung eines teuren IT-Projektes durchsetzen wollen. Eine Parteikollegin von Babis habe ohne echte Gegenleistung einen hoch dotierten Beratervertrag bekommen.
Und als Prüfer des Finanzministeriums einen Report über Mängel bei der Kontrolle der Ausgabe von EU-Geldern fertigstellten, «sagte Babis mir, ich solle die Übersendung des Berichts nach Brüssel stoppen», erzählt Wagenknecht. Ende Juni 2015 feuerte Babis seinen Stellvertreter. «Babis ist nur ein Politiker wie andere zuvor, der vor allem für sein eigenes Wohl sorgen will», sagt der enttäuschte Wagenknecht.
Doch viele Tschechen sehen es anders: Vor der Parlamentswahl, die heute Freitag und morgen Samstag stattfindet, liegt Babis mit seiner ANO-Partei Umfragen zufolge in der Wählergunst bei 25 bis 30 Prozent, damit weit vor allen anderen Parteien, und ist so Favorit für das Amt des nächsten Regierungschefs.

Der Mittfünfziger Pawel Marhoun wartet im «U Dandu», einer traditionellen Prager Bierkneipe, auf zwei Gitarren und ein Banjo. Die Instrumente gehören drei Freunden, mit denen sich Marhoun seit 30 Jahren jede Woche trifft, um beim Bier tschechische Countrymusik zu spielen. «Ich halte Babis für einen reinen Karrieristen. Aber viele meiner Bekannten wählen Babis und sagen: Er ist so reich, dass er wenigstens nicht klauen wird», sagt Marhoun. «Seit 27 Jahren sehen wir immer die gleichen Leute in der tschechischen Politik. Für viele bringt Babis scheinbar frischen Wind.»
Milliardär Babis gehören nicht nur Agro- und Chemiefirmen, sondern auch etliche Medien, darunter zwei führende Tageszeitungen und der meistgehörte Radiosender. Zu privaten Fernsehsendern pflegt er freundschaftliche Kontakte. Tschechiens öffentlich-rechtliches Fernsehen verschob die Ausstrahlung einer brisanten Dokumentation über umstrittene Methoden des Unternehmers Babis in der tschechischen Landwirtschaft auf unbestimmte Zeit nach der Wahl. «Zudem beschäftigt Babis professionelle Spinmaker, die jede negative Nachricht über ihn sofort mit Ablenkungsmanövern in den sozialen Medien kontern», sagt Petr Just, Politologe der Prager Metropolitan-Universität.
Strafverfahren wegen Subventionsbetrugs
Viele ältere und ärmere Tschechen ausserhalb der Städte – ein grosser Teil der Wählerschaft von Babis – bekommen vor allem Selbstlob des Milliardärs mit. So brüstet sich Babis, er habe Tschechiens Geschäftsleute zum Kauf elektronischer Ladenkassen gezwungen, die alle Umsätze ans Finanzamt melden – und so Steuerhinterziehung verringern sollen.
Dabei steht Babis selbst in Tschechien wegen Betrugsverdachts unter Anklage. Auch die EU-Antibetrugsbehörde Olaf ermittelt, wegen des Verdachts auf Subventionsbetrug durch Babis oder seinen Konzern. Babis und Umgebung sollen das ihnen gehörende Erholungsressort «Storchennest» als Gründung kleiner Jungunternehmer ausgegeben haben, um so bei der EU knapp zwei Millionen Euro Fördergeld für Unternehmensgründer einzustreichen.
Unbekannte stellten Mitschnitte von Telefonaten von Babis ins Internet, in denen der Milliardär etwa einem Journalisten der ihm gehörenden führenden Tageszeitung Tschechiens Anweisungen erteilt. Tschechische Journalisten und Filmemacher legten Beiträge über zweifelhafte Bedingungen in Firmen des Babis-Imperiums vor oder über den angeblichen Einsatz von Finanzbehörden gegen geschäftliche Konkurrenten Babis' in seiner Zeit als Finanzminister. Die Firmen von Babis' Agrofert-Konzern haben 2016 mehr staatliche Subventionen erhalten, als sie Steuern zahlten.
«Und das Vermögen des Unternehmers Babis hat sich in den Jahren des Finanzministers und Vize-Regierungschefs Babis fast verdoppelt. Das stinkt schlimmer zum Himmel als der ärgste Misthaufen», sagt Tschechiens ehemaliger Aussenminister Karel Schwarzenberg, der mit der konservativen Partei TOP 09 gegen Babis antritt.
Babis gibt sich als verfolgte Unschuld
Bereits im Mai entliess Noch-Ministerpräsident Bohuslav Sobotka Babis als Finanzminister. Das Parlament hob im September Babis' Immunität auf, Tage später folgte die tschechische Anklage gegen den Unternehmer. Interviewanfragen von Redaktion Tamedia liessen Babis und seine Partei unbeantwortet. Bei Wahlkampfauftritten gibt sich der Milliardär als verfolgte Unschuld.
Schliesslich wird die Regierung samt Ministerpräsident noch von seinen Konkurrenten, Tschechiens Sozialdemokraten, geführt. Ermittlungen und Anklage gegen ihn seien pure Wahlkampfmanöver, verteidigt sich Babis. Ex-Stellvertreter Wagenknecht sieht dies anders. «Schliesslich lösten nicht die tschechischen Behörden die Ermittlungen gegen Babis aus, sondern die EU.»

Doch die EU ist bei vielen Tschechen schlecht angeschrieben, nachdem sowohl der acht Jahre amtierende Staatspräsident Vaclav Klaus wie auch sein Nachfolger Milos Zeman die Skepsis der Tschechen über jede Steuerung von aussen zur Stärkung der eigenen Popularität einsetzten und über die angebliche «Diktatur aus Brüssel» wetterten. Nur gut ein Drittel der Tschechen hat noch eine gute Meinung zur EU – der niedrigste Wert überhaupt in der EU. Vorwürfe aus Brüssel dürften Babis wenig schaden.
Ausserdem spreche Babis «bei vielen Tschechen das immer noch tief verwurzelte Stereotyp an, demzufolge ein aufgeklärter Diktator nicht schlecht ist, um uns vor Gefahren von aussen zu schützen», sagt Jiri Pehe, ehemaliger Mitarbeiter von Tschechiens erstem demokratischem Präsidenten Vaclav Havel. Präsident Zeman hat angekündigt, er wolle Babis im Falle eines Wahlsieges trotz der Anklage durch die Justiz das Mandat zur Regierungsbildung erteilen.
Radikale EU-Gegner legen stark zu
Doch ob und mit wem Babis regieren könnte, ist trotz seines weiten Vorsprungs in den Umfragen offen. Gleich 31 Parteien treten zur Wahl an. Nach Babis' ANO-Partei können die bisher führenden Sozialdemokraten nur noch mit etwa 13 Prozent rechnen – nur wenig mehr als Tschechiens Kommunisten. Welche von drei konservativen Parteien ins Parlament einzieht, ist ebenso offen wie das Schicksal der tschechischen Grünen oder der vor allem Studenten ansprechenden Piraten-Partei. Grösster gemeinsamer Nenner vieler Parteien: Skepsis oder Feindschaft gegenüber der EU und gegenüber Flüchtlingen. Und das, obwohl es diese in Tschechien so gut wie nicht gibt.
Der radikalste Gegner von Flüchtlingen und der EU in Tschechien hat in den Umfragen am stärksten zugelegt: Tomio Okamura, ein 45 Jahre alter Sohn eines Japaners und einer Tschechin. Die Abkürzung für seine Partei «Freiheit – direkte Demokratie» ist SPD. «Aber wir sind anders als die SPD in Deutschland», sagt Okamura. In der Tat: Okamura fordert in seinem Wahlprogramm ein Verbot des Islam in Tschechien und ein Referendum über Austritt oder Verbleib Tschechiens in der EU. Prager Analysten zufolge könnte Okamura in der Wahl auf bis zu zehn Prozent kommen – und nach Österreich auch Tschechien künftig weiter nach rechts rücken.
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