660 Millionen Franken blockiertDer neue Bundesanwalt erbt einen toxischen Fall
Ein riesiges Geldwäscherei-Verfahren geht in eine neue Runde – und wird bald auch Stefan Blättler beschäftigen, den künftigen Chefankläger des Bundes.

Eines der grössten, längsten und teuersten Verfahren der Bundesanwaltschaft steht vor einer möglichen Wende. Es wäre eine dramatische Wende, denn es geht um die Ehre – die Ehre mehrerer Geschäftsleute aus Tschechien. Aber auch um die Ehre der Schweizer Strafverfolgung, die sich nun schon ein halbes Arbeitsleben lang mit dem MUS-Fall herumschlägt.
MUS steht für den tschechischen Kohlekonzern Mostecka Uhelna Spolecnost, aber mit dem Namen verbinden schweizerische Ermittler Korruptions- und Geldwäschevorwürfe. Mehrere Geschäftsleute aus Tschechien sind in der Schweiz bereits verurteilt worden. Das Bundesstrafgericht hat Bussen und teilweise Freiheitsstrafen von mehreren Monaten ausgesprochen. Im Mammutfall, bei dem die Schweizer Ermittler 140’000 Seiten Akten anhäuften und fünf ordentliche oder interimistische Staatsanwälte des Bundes involviert waren, sind mehrere Urteile rechtskräftig, andere nicht.
Doch geht es nach einzelnen Verurteilten, muss die Sache nun neu aufgerollt werden. Sie streben eine Revision an. Damit erbt der designierte Bundesanwalt, Stefan Blättler, einen hochkomplexen internationalen Fall, an dem sich seine Vorgänger seit fast 20 Jahren die Zähne ausbissen. Die Bundesversammlung wählt Blättler am Mittwoch aller Voraussicht nach zum Nachfolger Michael Laubers. Der Berner Polizeikommandant ist der einzige Kandidat.
Revisionsbegehren haben in der Schweiz einen schweren Stand – doch im MUS-Fall scheint das Ansinnen zumindest nicht aussichtslos. Denn es soll bislang nicht bekanntes oder zumindest nicht berücksichtigtes entlastendes Material aus Tschechien vorliegen: Dort stehen sechs Investoren, die gemäss der Schweizer Justiz Geldwäscher sind, abermals vor Gericht. Dabei geht es um dieselben Vorwürfe, wie sie in der Schweiz als Grundlage für das Geldwäschereiverfahren dienen, das auch hierzulande 23 Jahre nach den Geschehnissen noch nicht in allen Bereichen abgeschlossen ist.
Entlastende Geheimdienstberichte?
Der komplexe MUS-Fall dreht sich um angeblichen Betrug und mögliche unrechtmässige Bereicherung bei den Privatisierungen einer ehemals sozialistischen Kohlemine. Grosse Summen landeten in der Schweiz. Laut der Schweizer Justiz wurde die Regierung in Prag von Investoren betrogen und das Geld in der Schweiz gewaschen.
«Diese Beweise werden uns voraussichtlich dazu zwingen, eine Revision des gesamten Falls zu verlangen.»
Nun liegen neue entlastende Dokumente aus Tschechien vor, die auch für das schweizerische Verfahren relevant sind. Das sagt zumindest der tschechische Strafverteidiger Marek Stubley gegenüber dieser Zeitung. Er erhebt schwere Vorwürfe an die Adresse der Schweizer Justiz: «Der tschechische Prozess hat Beweise hervorgebracht, die weder die Schweizer Bundesanwaltschaft noch die Gerichte in ihren Prozessen berücksichtigt haben – trotz ihrer endlosen Ermittlungen. Diese Beweise werden uns voraussichtlich dazu zwingen, eine Revision des gesamten Falls zu verlangen.»
Bei den angeblichen Beweisen handelt es sich um Geheimdienstberichte mit detaillierten Informationen zum damaligen Wissensstand von Verantwortungsträgern sowie um neue Aussagen ehemaliger Minister. Gemäss Marek Stubley widerlegt das Material Kernvorwürfe aus dem schweizerischen Verfahren.
Ein Richter wählte Sonderweg
Mit dieser Ansicht scheint der tschechische Anwalt mehr als nur eine Parteimeinung zu vertreten. Eine aussergewöhnliche Begebenheit beim damaligen MUS-Prozess vor dem Bundesstrafgericht deutet darauf hin, dass zumindest ein Schweizer Richter in eine ähnliche Richtung Überlegungen anstellte: Am 21. Mai 2013 tat Bundesstrafrichter Peter Popp in der öffentlichen Verhandlung seine Ansicht kund, dass er anderer Meinung sei als seine beiden Richterkollegen. Er selber stellte Beweisanträge, die jenen der nun geplanten Revision sehr ähnlich sind: Um die damaligen Vorgänge in Prag verstehen und rechtlich würdigen zu können, müssten zusätzliche Regierungsdokumente konsultiert und damalige Minister und Beamte als Zeugen befragt werden, verlangte Popp.
Bemerkenswert waren damals weniger die Anträge an sich als vielmehr der Umstand, dass Popp diese vor Publikum stellte. Normalerweise trägt ein Gericht seine Differenzen hinter verschlossener Tür aus. Offenbar war es Popp wichtig, seine Minderheitsposition kundzutun. Die andern Richter, Präsident Jean-Luc Bacher und Referent David Glassey, hatten ihn zuvor überstimmt.
Im MUS-Verfahren geht es nicht nur um die Ehre, sondern auch um viel Geld: In einem separaten Schweizer Verfahren soll darüber entschieden werden, wer am Schluss die auf schweizerischen Banken blockierten 660 Millionen Franken zugesprochen erhält.
Benjamin Gafner ist seit dem Jahr 2000 Bundeshausredaktor. Schwerpunkte seiner Berichterstattung betreffen sicherheits- und migrationspolitische Themen.
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