Der nie ganz bewältigte Konflikt
Vor 50 Jahren ging der Algerienkrieg zu Ende. Doch weder Algerien noch Frankreich wollen den Jahrestag gross begehen. Noch immer gibt es viele offene Wunden.

Hunderttausende Tote, brutale Gewalt gegen ehemalige Kämpfer und eine massive Flüchtlingsbewegung: Das ist die Bilanz des Algerienkrieges, der heute vor 50 Jahren zu Ende ging. Doch obwohl der Waffenstillstand einen Strich unter einen mehr als siebenjährigen Konflikt um die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich zog, wollen beide Länder den Jahrestag nicht gross begehen. «Man gedenkt nicht», heisst es in Paris. Der Termin liegt sowohl für die französische als auch für die algerische Führung mitten im Wahlkampf.
In Frankreich wird im April und Mai ein neuer Präsident gewählt, in Algerien im Mai das Parlament neu bestimmt. «Man muss die Glut nicht wieder anheizen», sagte ein französischer Diplomat auf die Frage nach den Feierlichkeiten. Gerade Frankreich hatte lange ein grosses Problem mit der Aufarbeitung seines letzten grossen Kolonialkrieges. Erst 1999 verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die Bezeichnung «Algerienkrieg» festschreibt. Davor war in der Amtsprache lediglich von «Ereignissen» oder «Einsätzen in Nordafrika» die Rede gewesen.
Bis heute kein Freundschaftsvertrag
2006 sorgten Lehrpläne für Aufregung, in denen einseitig die Opfer auf französischer Seite geschildert wurden, ohne die Toten unter den algerischen Unabhängigkeitskämpfern zu erwähnen. Präsident Jacques Chirac stoppte das Gesetz, das Schülern und Studenten die «positive Rolle» Frankreichs vor allem in Nordafrika nahebringen sollte.
Bis heute gibt es keinen Freundschaftsvertrag zwischen Algerien und Frankreich. «Bluttaten wurden auf beiden Seiten begangen. Dieser Missbrauch, diese Bluttaten müssen verurteilt werden. Aber Frankreich kann nicht bereuen, diesen Krieg geführt zu haben», sagte der französische Staatschef Nicolas Sarkozy Anfang März.
Für ihn geht es auch um die Wählerstimmen der Algerien-Franzosen, die nach dem Krieg zu hunderttausenden vor Racheakten nach Frankreich flohen. Sie hätten zwischen «Koffer oder Sarg» entscheiden müssen, ergänzte der Kandidat der konservativen UMP, für den bei seiner Wahl 2007 knapp ein Drittel der 3,2 Millionen algerischstämmigen Wähler gestimmt hatten. Diesmal wollen allerdings die meisten dieser Wähler laut einer Studie der Kandidatin der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, ihre Stimme geben.
Sakrozys Wortbruch
Eine Gruppe der Algerier hatte nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens von Evian am 18. März 1962 besonders gelitten: die Kämpfer an der Seite der französischen Soldaten. Die so genannten Harkis wurden nach dem Waffenstillstand entwaffnet und sich selbst überlassen. Tausende wurde daraufhin aus Rache von ihren algerischen Landsleuten massakriert.
Deshalb sind es auch die Harkis, die sich gegen eine Gedenkfeier am 19. März zum Inkrafttreten des Waffenstillstandes wehren. «Für uns, die Harkis, war der 19. März der Beginn eines Leidenswegs», sagte Mohamed Djafour von «Générations harkis» zum Gedenken vor einem Jahr. Um an die muslimischen Soldaten zu erinnern, die für Frankreich gefallen sind, besuchte Sarkozy am Mittwoch gemeinsam mit einigen Ministern die grosse Moschee in Paris.
Für die Harkis ist das nur ein kleiner Trost, hatte der Präsident doch im Wahlkampf 2007 versprochen, dass Frankreich offiziell die Verantwortung für das Massaker an den Kämpfern übernehmen werde. Hier sehen die Harki-Verbände einen Wortbruch Sarkozys. Eine Entscheidung des Staatschefs erfüllt sie aber doch mit Stolz: Seit gut einem Jahr ist Jeannette Bougrab und damit die erste Tochter eines Harki als Staatssekretärin in der Regierung.
AFP/kpn
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