Der Schnee von morgen liegt im Osten
Die Schweizer Skigebiete sind von Temperaturanstieg und Touristenschwund besonders betroffen. Darum hofft die Ski-Industrie auf den wachsenden Markt in China.
Sie versinken im Schnee. Dörfer sind von der Umwelt abgeschnitten. Plötzlich liegt dieses sonst so rare Gut Ende Januar in Massen in den Schweizer Bergen, diese weisse Pracht, zum weissen Gold hochstilisiert. Dabei hatte kaum mehr einer darauf gehofft – oder gewartet in den Skiorten.
Längst waren da die Pisten weiss, Naturschnee ist ersetzbar geworden, er stört eher in der manchmal schon fast klinisch anmutenden Berglandschaft. Nicht nur, wenn er in solchen Mengen fällt. «Naturschnee ist wichtig für die Winterstimmung», sagt Patrizia Bickel von den Jungfraubahnen. Das wars dann auch.
Die Skigebiete wollen ihren Besuchern die bestmöglichen Bedingungen bieten, und das geht nur mit sogenannt technischem Schnee. «Dieser ist der Rohstoff für unseren Winterbetrieb», sagt Bickel. Im Gebiet am Fusse der Gipfel von Eiger, Mönch und Jungfrau haben sie deshalb viel investiert, vor allem in die Beschneiung. Zwischen 2007 und 2012 waren es 66 Millionen Franken, «in der Saison 2016/17 beliefen sich die Ausgaben für Unterhaltsarbeiten zudem auf 2,6 Millionen», sagt Bickel.
«Wintersport ohne Kunstschnee ist undenkbar»
Die Pistenfahrzeuge sind mit Geräten ausgerüstet, die die Schneedicke messen, damit das künstlich erzeugte Weiss gleichmässig verteilt werden kann. Die Betreiber behalten dank eines zentralen Steuerungssystems den Überblick. «Wintersport ohne Kunstschnee ist undenkbar», sagt Bickel.
Zwei Drittel des 206 Kilometer grossen Pistennetzes der Jungfrauregion werden maschinell von Grün in Weiss verwandelt. Anfang November spuckten die ersten Kanonen Schnee, seither waren es 500'000 Kubikmeter, 550'000 Kubikmeter Wasser brauchten sie dafür, 550 Millionen Liter also, oder 3 Millionen volle Badewannen. Fast alles stamme aus Überwasser der Trinkwasserversorgung. «Möglichst ressourcenschonend» sollte das Ganze sein, sagt Bickel. Bei diesen Mengen nicht ganz einfach.
Mit Pistenbullys, die von Hybridmotoren angetrieben werden, Abgasreinigungssystemen und effizienten Kanonen soll die Umwelt wenigstens nicht noch extremer belastet werden. Die Investitionen sind enorm. «Das führt so weit, dass das Herunterfahren der Schneesportler für die Betreiber teurer ist als das Hochbringen mit Bahnen und Sesselliften», sagt Jürg Stettler, Leiter des Instituts für Tourismuswirtschaft in Luzern.
Die Jungfrauregion ist nur Sinnbild in diesem Kampf, den die Berggebiete führen: gegen das wärmere Klima, gegen die Abnahme an Schneetouristen. Von beidem ist die Schweiz besonders stark betroffen. «Zwei Drittel der Skigebiete stehen unter Druck, was die Rentabilität angeht», sagt Stettler. Er sieht mehrere Gründe dafür, «vor allem aber den starken Franken». Dieser schrecke ausländische Gäste ab und lasse Schweizer auf die Nachbarländer ausweichen. Ein Ski-Tagespass kostet in der Schweiz im Durchschnitt 72 Franken, 20 mehr als etwa in Österreich.

Einen negativen Effekt auf den Wintersport habe zudem, dass Menschen mit Migrationshintergrund oftmals der Bezug dazu fehle, dass die Alternativen zahlreicher seien als früher, «dass es im Vergleich zu anderen Tätigkeiten viel an finanziellem und zeitlichem Budget braucht», wie Stettler sagt. «Und: Die Schneesicherheit ist nicht mehr überall gegeben.»
Skiorte unter 1500 Metern leiden besonders. Und eben: «Die Schweiz trifft es härter als die meisten anderen.» So sagt es der renommierte Klimaforscher Thomas Stocker. Global stieg die Temperatur in den letzten 100 Jahren um 1 Grad, in der Schweiz um 1,8 Grad.
Die Vermutung: Landoberflächen erwärmen sich schneller als Ozeane. Zudem könnte die Schweiz wegen ihrer Lage besonders betroffen sein, als Übergangszone zwischen feuchtem Nordeuropa und trockenem Mittelmeerraum. Die Folge: «Stabile Hänge im alpinen Raum können wegen des auftauenden Permafrosts ins Rutschen geraten.
Auch die Gletscher reagieren extrem sensitiv, in den letzten 15 Jahren hatten wir einen regelrechten Zerfall der Gletschermassen», sagt Stocker. «Im Bericht, den wir als Grundlage für die Klimavereinbarungen von Paris erstellten, konnten wir klar festhalten: Der Mensch ist schuld.»

Der positive Effekt des Klimawandels
Wer das negiert, den nennt Stocker «einen Klima-Utopisten». Das Ziel der Vereinbarung ist, dass die Erwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit maximal um 2 Grad zunimmt. «Doch auch wenn das erreicht wird, sieht es für Gebiete unter 1500 Metern schlimm aus», sagt Stocker. Und verblüfft mit der Aussage: «Für höher gelegene Regionen kann der Klimawandel dagegen positiv sein – zumindest mittelfristig.» Dies, weil der Schneefall zunimmt, wenn die Temperaturen sich nicht mehr im tiefen Minus bewegen, sondern bei 0 Grad.
Verschneite Landschaften als Magnet für die Winter-Sehnsüchtigen aus dem Flachland also. «Irgendwann werden aber auch diese Gebiete Probleme bekommen. Skifahren wird vom Massenzum Exklusivsport.» Davon ist Stocker überzeugt – was die Alpen betrifft.
Anders sieht es beim Blick nach Osten aus, nach Südkorea, wo nächste Woche Olympia beginnt, vor allem aber nach China. «Von dort höre ich fantastische Zahlen», sagt Marc Gläser, CEO des Schweizer Skiherstellers Stöckli. 50 Millionen neue Skifahrer soll es in China in den nächsten Jahren geben. Die Regierung hat sich der Förderung des Schneesports verschrieben. Was das bedeutet? In den letzten fünf Jahren entstanden 500 neue Skiresorts, davor gab es nur etwa 100, bis 2022 sollen es noch einmal 500 mehr sein.
China sei der Lichtblick für die serbelnde Ski-Industrie, sagt Gläser – und denkt dabei weniger an seine Firma als an die grossen Player. Stöckli hat eine Nische gefunden. Es hat sich als Premium-Marke etabliert, in den Alpenländern, auch in den USA. «Wir sind dort zwar doppelt so teuer wie der Zweitteuerste. Dafür gelten unsere Ski als Schweizer Qualitätsprodukt.»

Ein Vorteil, der auch in China genutzt werden könnte. Den ganz grossen Angriff auf den chinesischen Markt plant Gläser aber nicht. Kann er gar nicht, bei einer Produktion von 50'000 Paar Ski im Jahr. «Vielleicht können wir erhöhen auf 65'000», sagt er. Der Marktanteil würde auch dann nur rund zwei Prozent betragen.
Mit seiner Strategie ist Stöckli ganz gut gefahren, «wir produzieren immer mehr Ski», sagt Gläser. Er glaubt auch nicht, dass das bald abnimmt. «Schaue ich in die USA und nach China, dann bin ich überzeugt davon, dass auch in 50, ja in 100 Jahren noch Ski gefahren wird.»
Was die Schweiz angeht, dürfte sich derzeit kaum einer zu einer solchen Prognose hinreissen lassen.
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Die günstigsten Skigebiete Europas
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