Der Schweiz-Beschleuniger
Hannes Gassert baut Brücken zwischen Technologie, Kultur sowie Politik und treibt die Digitalisierung voran.

Das Universum des Hannes Gassert zu erfassen, ist nicht ganz einfach. Er greift darum rasch selbst zum Stift und zeichnet kurzerhand eine Mind-Map auf die abwaschbare Wand: «HG» im Zentrum, davon ausgehend Pfeile zu seinen diversen Aktionsherden – Start-ups, Open-Data-Projekte, politische Engagements. Die Skizze macht deutlich, was Beobachtern der digitalen Schweiz schon länger klar geworden ist: An Hannes Gassert führt kein Weg vorbei.
Aber who the hell ist dieser Gassert? «Ein Macher, kein Schwätzer», sagt die Zürcher SP-Nationalrätin und Unternehmerin Jacqueline Badran. Einen «Visionär und zugleich Macher» sieht Andreas Amsler, Mitgründer des Vereins Opendata. ch, in ihm; und Marcel Salathé, Professor an der ETH Lausanne, schätzt ihn als «Macher, der bodenständig und intellektuell» ist. «Die meisten Gespräche mit ihm beginnen mit der Frage: ‹Sag mal, wie wäre es, wenn wir...?›, und dann kommt eine spannende neue Idee. Diesen Geist brauchen wir», sagt Salathé. Kurzum: Macher Gassert ist ein Glücksfall für die digitale Schweiz.
Dabei verbindet der Basler, der in Zürich lebt, immer wieder scheinbare Gegensätze miteinander. So agiert er mit Leidenschaft an der Schnittstelle zwischen Kultur und Technologie, kreiert dort Ideen, bringt Leute zusammen, setzt Projekte um. Mittlerweile ist der 35-Jährige in Bundesbern eine unbestrittene Grösse in Sachen Daten- und Netzpolitik, er hält Vorträge über Smart Citys oder erarbeitet für den Bundesrat ein «Manifest für eine erfolgreiche Digitalisierung der Schweiz».
Schnelles Denken, flottes Mundwerk und Know-how
Zu verdanken hat er seinen Status als Tech-VIP zum einen seinem unermüdlichen Einsatz als Vorstandsmitglied und Mitgründer von Opendata.ch, der Schweizer Sektion der Open Knowledge Foundation, welche die Offenlegung von Daten vorantreibt. Ziel ist es, in Politik und Wirtschaft das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass mit frei verfügbaren Daten, etwa von ÖV oder Nahrungsmitteln, Innovation und Transparenz geschaffen werden können.
Dass der Netzaktivist mit Bart und Strubbelfrisur weitherum ernst genommen wird, hat er nicht nur seinem schnellen Denken, dem flotten Mundwerk und Know-how zu verdanken. Zugute kommt ihm auch sein Unternehmertum. Gassert ist ein «Start-upper», und erst noch ein erfolgreicher. Als Partner von Wemakeit ist er wesentlich am Erfolg der «Crowdfunding-Plattform für kreative Projekte» beteiligt. Seine Basis aber ist die Web-Agentur Liip, die er während des Studiums im Jahr 2003 (damals noch Mediagonal AG) in Freiburg mitgründete. Liip zählt heute über 150 Mitarbeiter, verteilt auf fünf Standorte in der Schweiz.
Es ist Montagvormittag, und wir führen unser Gespräch im neusten Liip-Ableger in der Berner Altstadt, einem renovierten Grossraum mit viel Sichtbeton, Luft und Licht, hellen Holztischen und in der Ecke einer neuen Kolbenkaffeemaschine. Es riecht herrlich. «Kolbenkaffee gönnen wir uns, solange wir noch so wenige sind», sagt Gassert und wischt Pulver vom Holztresen.
Das 15-köpfige Team arbeitet unter anderem an Opentransportdata. swiss, einer technologischen Infrastruktur für den Bund, wo sämtliche Fahrplaninformationen aller Schweizer ÖV-Unternehmen auch in Echtzeit für Entwickler zur freien Verfügung stehen – eine WTO-Ausschreibung, die Liip gewonnen hat. «Meine Arbeit bei Liip stellt sicher, dass sich meine politischen Forderungen und deren Machbarkeit die Balance halten, das ist wichtig», sagt Gassert. Man könne, fügt er an, die Verschränkung durchaus als Konflikt interpretieren: «Aber die Vorstellung, zwischen persönlichem Engagement und Arbeit zu trennen, ist mir extrem fremd», sagt er lachend. Man glaubts ihm aufs Wort.
Gassert wuchs im Basler St.-Johann-Quartier auf – «21 Kinder aus 17 Ländern» –, der Vater Kunstkritiker aus Berlin, die Mutter Arztsekretärin, der Grossvater Tramchauffeur, «also Arbeitermilieu mit einem guten Schuss Kultur». Er war kein Computer-, sondern ein Bücherkind, das Internet aber faszinierte ihn («Das erste Mal Google sehen, das war wow»). Er studierte Medienwissenschaften in Freiburg und Informatik. Denn von seinem Vater habe er die Lektion gelernt, dass Journalisten immer wüssten, «was man tun müsste», aber nichts tun könnten. Das sollte ihm nicht passieren, die Informatik sollte ihn handlungsfähig machen. Was sie auch tat.
Aber Programmieren soll nicht nur ihn weiterbringen, sondern die ganze Gesellschaft, «Empowerment» heisst hier sein Zauberwort: Es gehe ihm darum, Werkzeuge zu bauen, die den Leuten direkt mehr Macht und Handlungsspielraum gäben. Dann hält er eine feurige Rede über Verantwortung und darüber, dass Technologie uns nicht entmündige: «Nein, wir müssen das Zeug so bauen, dass es uns mehr Kraft gibt und zu besseren Entscheiden führt.» Digitalisierung geschehe nicht einfach. Wir müssten den Übergang aktiv gestalten.
In «Powercoders» lernen Flüchtlinge programmieren
Kein Wunder, eckt er mit solchen Aussagen zuweilen bei seinen Genossen an – Gassert ist seit drei Jahren bei der SP und kandidiert 2018 für den Zürcher Gemeinderat. Aber auch bei der alteingesessenen IT-Branche fällt der «Civic Entrepreneur» aus dem Rahmen. Gassert sei «innovativ», habe aber wenig Verständnis dafür, wie Politik funktioniere, moniert etwa der FDP-Ständerat und IT-Unternehmer Ruedi Noser. Und Badran findet, dass er manchmal Freiheit mit «anything goes» verwechsle.
Gassert ehren solche Aussagen. Mehr beschäftigt ihn, dass er immer wieder erklären müsse, dass unternehmerisch, erfolgreich, sozial und demokratisch keine Gegensätze seien, «sondern dass das mega zusammengeht». Etwa im jungen Projekt «Powercoders», wo Flüchtlinge programmieren lernen.
Wird denn alles zu Gold, was HG in die Hand nimmt? Nicht ganz, Skim.com, ein Onlinedating-Spiel, ging in die Hose. Er sei einfach nicht zu 200 Prozent dahintergestanden, eine Geschäftsidee allein reiche nicht: «Der Erfolg kommt, wenn ich eine Situation schaffen kann, in der meine Leidenschaft produktiv wird.»
Für solche Fälle gibt es seine jüngste Firma Crstl, in der auch seine Frau Sylvie Reinhard tätig ist. «Wir sind ein paar gute Freunde und packen Sachen an, die man einfach machen muss.» Doch nicht genug: Das Power Couple hat zusammen eine anderthalbjährige Tochter namens Ada und teilt sich Haus- und Betreuungsarbeit fiftyfifty. Bleibt da noch Platz für Träume? Gassert überlegt. Er lebe seine Träume, sagt er dann. Und schliesslich: «Mit meinen Händen und Freunden ein Haus bauen, das wäre cool.» Bodenständig eben.
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