Der steinige Weg zum Veloland Schweiz
Die Förderung des Velofahrens soll in der Bundesverfassung verankert werden. Nicht alle können sich damit anfreunden.
Das Verhalten der Velofahrer und ihre Forderungen garantieren für die ganz grossen Emotionen. Die Gefechte zwischen «Gümmeler» und dem Rest der Verkehrsteilnehmer toben nicht nur an den Stammtischen oder in den Leserbriefspalten. Auch im Parlament geben Befürworter und Gegner regelmässig richtig Gas. Etwa im Nationalrat, diesen Frühling, bei ungewöhnlich frostigen Aussentemperaturen redeten sich die Parlamentarier bei der Debatte über die Velo-Initiative und dem Gegenvorschlag des Bundesrates die Köpfe heiss.
«Die Anliegen der Velofahrer würden sicher auf eine grössere Beachtung und Akzeptanz stossen, wenn sich die Velofahrer in den Städten anständig aufführen würden. Was beispielsweise in einer Stadt wie Zürich abgeht, spottet jeder Beschreibung», sagte SVP-Nationalrat Andreas Glarner, notabene ein Aargauer aus dem kleinen, ländlichen Dorf Oberwil-Lieli. Die Initiative und der Gegenvorschlag seien ähnlich nötig wie der Schneefall von letzter Nacht, es brauche sie schlicht nicht. Der stärkere Verkehrsteilnehmer könne locker solche Sprüche klopfen, entgegnete SP-Nationalrätin Martina Munz (SH): «Das Risiko trägt in der Regel der Schwächere, in diesem Fall die Velofahrerinnen und Velofahrer.»
Veloland oder nicht?
Was genau löst derart heftige Reaktionen aus? Es ist der sogenannte Bundesbeschluss Velowege, der am 23. September an die Urne kommt. Er wurde von Bundesrat und Parlament – allerdings ohne die Stimmen der SVP und ein paar versprengter FDP-Parlamentarier – als Gegenentwurf zur Velo-Initiative verabschiedet. Das von Pro Velo Schweiz lancierte Volksbegehren ging den meisten zu weit, da es zu stark in die Kompetenz der Kantone eingreifen und den Bund zur Förderung von Velowegen verpflichten wollte.
Was übrig geblieben ist: Der Bund soll zwar wie für die Fuss- und Wanderwege auch Grundsätze über Velowege festlegen. Aber er soll nur koordinierend und unterstützend eingreifen können. Den Initianten reicht dies, sie zogen ihr Volksbegehren zurück, womit nur der Gegenvorschlag zur Abstimmung gelangt.
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Aber das ist den Gegnern noch zu viel: Bei ihnen herrscht die Auffassung vor, dass die Schweiz bereits ein Veloland sei. Zumindest für die Städte trifft dies kaum zu. Ins Ranking der 20 besten Velostädte weltweit, dem sogenannten Copenhagen-Index, schafft es keine einzige Schweizer Stadt. Schaut man auf Europa, bewegt sich die Schweiz auch beim täglichen Gebrauch des Velos im unteren Mittelfeld, weit abgeschlagen hinter Holland oder Dänemark. Während in der Schweiz 7 bis 8 Prozent häufig mit dem Velo unterwegs sind, steigen 36 Prozent der Niederländer häufig auf ihre «Fietsen».
Der Gebrauch des Zweirads ist ein Indiz dafür, wie viel Raum den Velos auf den Verkehrsträgern zugestanden wird, wie gross das Netz der ausgesonderten Velowege ist und wie gefährlich der Ritt auf dem Drahtesel ist. Das Velowegnetz in der Schweiz gilt nicht als schlecht, aber im europäischen Vergleich hinkt die Schweiz dennoch hinterher. Genaue Zahlen über die gesamte Länge des Radwegnetzes gibt es laut Pro Velo indes nicht.

Hingegen ist belegt, dass Auto fahren immer sicherer und Velo fahren immer gefährlicher wird: Während die Gesamtzahl tödlicher und schwerer Unfälle in den letzten Jahren bei allen Verkehrsteilnehmern vom Autofahrer bis zum Fussgänger zurückgegangen ist, stieg sie bei den Velofahrern.
Ein gutes Velowegnetz helfe, Unfälle zu vermeiden, betonte Verkehrsministerin Doris Leuthard bei der Lancierung der Abstimmungskampagne Anfang Juli: «Es lohnt sich, das Potenzial des Velos besser zu nutzen.» Zudem trage ein gutes Velowegnetz zur Entlastung von Strassen sowie Bahnen und Bussen bei, wo es zu Spitzenzeiten oft eng sei.
Was wird bei einer Annahme des Bundesbeschlusses Veloweg konkret passieren? Die Umsetzung des Gegenvorschlags soll laut der Landesregierung etwa gleich viel kosten wie die bisherige Förderung der Fuss- und Wanderwege. Diese beläuft sich aktuell auf rund 1,8 Millionen Franken pro Jahr und wird von 2,5 Vollzeitstellen wahrgenommen. Da bereits heute eine Vollzeitstelle im Bundesamt für Strassen (Astra) und ein Budget von rund 700'000 Franken jährlich für den Veloverkehr zu Verfügung stehen, rechnet der Bundesrat mit zusätzlichen Kosten von 1,1 Millionen Franken und einer personellen Aufstockung um etwa 1,5 Vollzeitstellen.
Keine absolute Mehrheit
Ausserdem dürfte man die positiven rechtlichen Folgen des Gegenentwurfs nicht vergessen, sagt der Berner SP-Nationalrat Matthias Aebischer, Präsident von Pro Velo Schweiz: «Stadtregierungen, die aus ihrer Stadt eine Velostadt machen wollen, müssen sich bei einer Annahme des Bundesbeschlusses nicht mehr juristisch rechtfertigen.»

Noch ist der Bundesbeschluss Velowege nicht wirklich gut unterwegs: Laut der jüngsten Tamedia-Umfrage schafft es momentan keines der Lager auf eine absolute Mehrheit: Dem direkten Gegenvorschlag zur zurückgezogenen Velo-Initiative wollen 48 Prozent zustimmen, 44 Prozent wollen ihn ablehnen. Und dies, obwohl im Pro-Komitee Vertreter aller Parteien sitzen, selbst aus den Reihen der SVP konnte mit dem St. Galler Nationalrat Thomas Müller ein eidgenössischer Politiker gewonnen werden.
Ein gegnerisches Komitee ist derzeit nicht in Sicht. Es bleibt an Einzelkämpfern wie SVP-Nationalrat Roland Büchel (SG), sich gegen die Verankerung des Velos in der Bundesverfassung zu wehren. Er bezeichnet sich selber als passionierten Velofahrer. Trotzdem: «Kann-Formulierungen werden sehr schnell uminterpretiert in Muss-Formulierungen.» Büchel befürchtet, dass unnötigerweise Aufgaben von den Gemeinden und Kantonen auf die Bundesebene verlagert werden. Der Abstimmungskampf ist noch nicht richtig in die Gänge gekommen. Vorlagen des Bundesrates nehmen üblicherweise im Verlauf der Kampagne Fahrt auf.
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