
Der Mann im weissen Raumanzug bewegt sich langsam durch die graue Wüste, er stapft von Krater zu Krater. Was der Amerikaner Neil Armstrong konnte, kann der indische «Moonwalker» schon lange, die Kamera ist immer dicht dran an ihm. Es scheint, als können die Leute auf dem Subkontinent gar nicht genug von diesem Video bekommen. Ein indischer Astronaut auf dem Mond? Was könnte bewegender sein für die ehrgeizige Nation?
Die optische Täuschung ist gelungen, die Bilder sind bei Nacht gedreht, die Lichter geschickt gesetzt. Erst als sich die graue Szene etwas aufhellt, ein Hupen zu hören ist und eine Motorrad-Rikscha durchs Bild knattert, dämmert es dem Betrachter: Dieser Astronaut musste für sein grosses Abenteuer gar nicht so weit reisen. Es reichte, einfach vor die Haustür zu treten, hinaus in die Strassen der Metropole Bangalore, wo manche Krater im Asphalt längst extraterrestrische Ausmasse annehmen.
Zwar schickt Indien Raketen Richtung Mond und Mars, aber um die Schlaglöcher vor der Haustür scheint sich niemand im Staat zu kümmern.
Der Clip ist das Werk des indischen Aktionskünstlers Baadal Nanjundaswamy, er liess einen Schauspieler im Weltraumkostüm durch die städtische Holperlandschaft stapfen, die er zuvor mit Farbe und Pinsel noch als Mond-atrappe präpariert hatte. Das ironisierende Video vom Moonwalker hat sich viral verbreitet, und vermutlich hätte man das grosse Paradox Indiens kaum witziger einfangen können. Viele grübeln ja darüber nach, wie das eigentlich alles zusammenpasst: Zwar schickt Indien Raketen Richtung Mond und Mars, aber um die Schlaglöcher vor der Haustür scheint sich niemand im Staat zu kümmern. Dass die jüngste indische Raummission, ein Fahrzeug auf dem Mond zu landen, am Wochenende gescheitert ist, konnte der Künstler beim Drehen des Videos nicht vorhersehen.
Einmal hat Nanjundaswamy ein lebensgrosses Krokodil modelliert und es in einem trüben Tümpel ausgesetzt, der sich quer über die Fahrbahn zog. Eine Wasserleitung war geplatzt, und niemand reparierte den Schaden. Der inszenierte Reptilienbiotop erregte damals grosses Aufsehen, genauso wie die jüngste Mondsimulation. Interessanterweise ist der Schöpfer der Werke ein Mann, der das Licht der Öffentlichkeit eher scheut.
«Ich sehe meine Arbeit als kleinen Einsatz zur Weltverbesserung.»
Als der vermeintliche Mondspaziergang vergangene Woche die sozialen Netzwerke eroberte, schaltete der Künstler sein Handy ab, erst Tage später war er wieder zu erreichen. Wer mit ihm spricht, hört die schüchterne Stimme eines Mannes, der sagt: «Ich sehe meine Arbeit als kleinen Einsatz zur Weltverbesserung.» Er schafft Werke einerseits für sich selbst, aus der kreativen Arbeit schöpft er Zufriedenheit, andererseits will er damit auch einen Dienst für die Gemeinschaft leisten. Deshalb gefällt es Nanjundaswamy, wenn ihn die Leute «Strassenkünstler» nennen.
Der 39-Jährige hat Malerei in Mysore im Süden Indiens studiert, er ist verheiratet, hat ein Kind, und arbeitet in der Hightech-Metropole Bangalore. Er kann sich für die Farben Van Goghs begeistern, er schätzt Salvador Dalí und den Graffiti-Künstler Banksy. Als er nun seinen Moonwalk-Clip schuf, dauerte es nicht lange, bis die Bagger von Bangalore anrückten und die Krater auffüllten, die der Künstler für seine Mondsimulation genutzt hatte.
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Der Strassenkünstler aus Bangalore
Der Inder Baadal Nanjundaswamy weist mit Videoclips auf Missstände hin – jüngst auf die Schlaglöcher in seiner Heimatstadt.