
In Zürich ist dieser Tage ein eigentümliches Domestizierungsprojekt im Gang. Ziel ist der Frauenstreik vom 14. Juni. Ein Anlass, der mit Kampf und Protest in Verbindung gebracht wird, aber entschärft wird bis zur Unkenntlichkeit. Man akzeptiert das Raubtier, aber nur als Schmusekatze.
Mit besten Absichten wird Begriffsverwirrung betrieben. Der Zürcher Stadtrat unterstützt die «berechtigten Anliegen» des Frauenstreiks laut offizieller Stellungnahme und will städtischen Angestellten die Teilnahme ermöglichen. Aber nur unter zwei Bedingungen. Erstens: Die Streikenden müssen ihre Absicht rechtzeitig bei den Führungskräften anmelden. Zweitens: Der Betrieb muss auch mit reduziertem Personalbestand aufrechterhalten sein.
Auch der Zürcher Arbeitgeberverband empfiehlt den Mitgliedsfirmen, eine Streik-Teilnahme zu ermöglichen – sofern sich dies «betriebsorganisatorisch» arrangieren lasse. Diese Regelung deckt sich mit den Empfehlungen verschiedener Arbeitsrechtler, die vor «unentschuldigtem Fernbleiben vom Arbeitsplatz» warnen. Streikwillige Frauen sollten sich vorgängig mit ihren Arbeitgebern absprechen, um negative Konsequenzen auszuschliessen. Gewerkschaften raten, bei den Vorgesetzten um einen freien Tag zu bitten – und sonst halt in der Pause zu streiken.
Ein solcher Warnstreik, der so abgewickelt wird, dass man möglichst nichts merkt, ist widersinnig.
Das ist widersinnig: Ein Warnstreik, der allen bewusst machen sollte, wie viel Arbeit von Frauen erledigt wird, die zu unfairen Konditionen angestellt sind, wird so abgewickelt, dass man möglichst nichts merkt. Dass man höchstens denkt: Schau an, es ist Streik, und alles läuft wie sonst – scheinen doch nicht so wichtig zu sein, diese Frauen.
Verfolgte der erste Frauenstreik von 1991 das provokative Ziel, dass alles stillstehen soll, scheint diesmal das Gegenteil der Fall. Symptomatisch dafür ist die Anfrage grüner Zürcher Lokalpolitikerinnen, ob die Stadt den Streik als Arbeitszeit anrechnen könne. Die Idee hinter einem klassischen Streik wäre eine andere: Er muss wehtun, sonst nützt er nichts. Streik ist nicht Konsens, sondern Konflikt – gerade weil es keinen Konsens gibt.
Streik in Anführungszeichen
Die Teilnehmer am ersten verbürgten Zürcher Streik, jenem der Schmiedegesellen vor über 600 Jahren, wussten, worum es geht: durch kollektive Verweigerung Druck auszuüben. Der Arbeitgeber soll schlecht dastehen und um die Zufriedenheit seiner Kunden fürchten. Das gilt laut den Streikprofis der Gewerkschaft Unia auch im 21. Jahrhundert.
Warum also die Verrenkungen vor dem 14. Juni? Weil umstritten ist, ob es sich beim Frauenstreik überhaupt um einen Streik im eigentlichen Sinn handelt. Zwar ist das Recht zu streiken seit 1999 in der Bundesverfassung verankert. Dies gilt aber nur für Konflikte, bei denen es um die Arbeitsbeziehungen geht.
Entsprechende Forderungen finden sich durchaus im 17-Punkte-Manifest der nationalen Frauenstreikversammlung, zuvorderst jene nach «gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit». Aber darüber hinaus verlangen die Streik-Organisatorinnen andere Massnahmen: Anerkennung von sexueller Gewalt als Asylgrund, Abtreibung zum Nulltarif, Abschaffung von geschlechtsspezifischen Stereotypen. Alles eminent politische Anliegen.
Darum setzt der Zürcher Stadtrat den «Streik» vom 14. Juni in Anführungszeichen: Er sei «untypisch», da er sich nicht gegen die Stadt als Arbeitgeberin richte. Deshalb warnte der Präsident des Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverbands vor einem Streikaufruf der Gewerkschaft VPOD. Es sei kein klassischer Arbeitskampf: An den Schulen gebe es keine Lohndiskriminierung, Streikende müssten «mit negativen Auswirkungen rechnen».
Die Anliegen dieses Streiks sind so offensichtlich legitim, dass die Frage nach der Legalität zurücktritt. Dies gilt umso stärker, je mehr Frauen teilnehmen.
Arbeitsrechtler beurteilen das genauso: Teilnehmerinnen am Frauenstreik seien nicht durchs Streikrecht geschützt. Trifft dies zu, kann man sich die komplizierten Detailfragen schenken. Etwa jene, ob für Angestellte mit Gesamtarbeitsvertrag wegen einer «Friedenspflicht» ein Streikverbot gilt.
Was tun? Option eins: bedauern, dass der Streik nicht auf die Formel «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» beschränkt wurde, was ihn zu einem echten Streik gemacht hätte. Option zwei: lernen von 1991.
Auch damals warnten die Arbeitgeber, der Frauenstreik sei ein «politischer Demonstrationsstreik» und daher illegal. Der Sekretär des Zentralverbands der Arbeitgeber-Organisationen drohte mit fristloser Kündigung. Die Streik-Koordinatorinnen konterten: Manchmal müsse man gegen ein Gesetz verstossen, um ein grösseres Recht zu verteidigen. Der Zentralverband buchstabierte zurück, Kündigungen wären unverhältnismässig. Er empfahl seinen Mitgliedern stattdessen, den Streik kreativ zu umgehen: die streikenden Frauen offiziell als ferienabwesend betrachten oder den Protest als Abbau von Überzeit verrechnen.
Schützende Masse
Genauso macht das jetzt die Stadtzürcher Verwaltung. Und der Zürcher Arbeitgeberverband betont trotz Zweifel an der Rechtmässigkeit des Streiks, es sei nichts einzuwenden gegen Forderungen nach Lohngleichheit und familienfreundliche Arbeitszeitgestaltung. Die Zürcher Firmen sollten «das Momentum nutzen» und zeigen, was sie diesbezüglich täten.
Daran zeigt sich: Die Anliegen dieses Streiks sind so offensichtlich legitim, dass die Frage nach der Legalität zurücktritt. Dies gilt umso stärker, je mehr Frauen teilnehmen. Welcher Arbeitgeber will sich schon mit einer Flut an Rechtsverfahren als ewig gestrig blamieren? Ein reibungsloser Betrieb am 14. Juni braucht streikwillige Frauen nicht zu kümmern, solange überlebenswichtige Dienste wie Krankenpflege gewährleistet sind. Sie müssen nur die kritische Masse erreichen. Die Masse schützt.

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Der Streik muss wehtun, sonst nützt er nichts
Arbeitgeber bemühen sich, den Mitarbeiterinnen die Teilnahme am Frauenstreik zu ermöglichen. Sofern es den Betrieb nicht stört – dabei muss genau dies das Ziel des Streiks sein.