Der Tod geht durch die Kirchenreihen
Dem Horgner «Chor04» glückte gestern eine schaurig-schöne Aufführung des Stückes «Totentanz». Der Kirchenmusiker Hugo Distler hat es komponiert.
Von Moritz Schenk
Horgen - Für Katholiken wäre der Karfreitag eigentlich ein strenger Fastentag und auch die reformierte Kirche feiert ihn als Trauertag. Für das Karfreitagskonzert zog die Horgner Kantorin Cristina Marugg darum ein Stück aus der Schublade, das dieser Stimmung Rechnung trägt: Der «Totentanz» von Hugo Distler (1908-1942). Der vierstimmige Horgner «chor04» hatte das komplexe Stück des in Nürnberg geborenen Kirchenmusikers aus den 1930er-Jahren lediglich fünfmal proben können. «Hugo Distler hat Sängern trotz schwieriger Materie in die Stimme komponiert», sagt Cristina Marugg.
Geht es nach den Sängerinnen und Sängern im Chor, liegt der Erfolg allerdings weniger am Stück als an ihrer Chorleiterin. Tenor Robin Leins aus Rüschlikon sagt: «Cristina Marugg legt das Gewicht nicht auf die Technik, sondern sie lässt die Musik erst einmal auf die Sänger wirken.» Seine Kollegin Larissa Deck aus Horgen ergänzt: «Kaum jemand vermittelt und dirigiert die Stücke ausserdem mit mehr Energie und Freude als sie.»
Verständliche Musik fürs Volk
Während des Konzerts von gestern Abend versteht man, was die Sänger und die Chorleiterin an Hugo Distler so begeistert: Die Musik ist schwer, intensiv, niemals dissonant. Der deutsche Kirchenmusiker Distler, unfreiwilliges Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), folgte mit seiner Komposition der Forderung des NS-Regimes, wonach für das Volk verständliche und schöne Musik zu komponieren sei. Doch Distlers historisch düstere Lebenszeit tut dem Stück keinerlei Abbruch: Die Mitglieder des Chors können sich voll und ganz auf den Inhalt des Stückes einlassen. Nicht wenige Sänger wippen während besonders klangvollen Stellen mit dem ganzen Körper mit. Anfangs wird die Aufmerksamkeit der Zuschauer vor allem auf den Chor gelenkt: Die vier Stimmen überlagern sich harmonisch, tief und hoch und lang anhaltend erinnert es etwas an die Filmmusik von «Der Herr der Ringe».
Ein Stück zum Nachdenken
Nachdem das erste Stück verklungen ist, geht der Horgner Regisseur und Schauspieler Peter Rinderknecht plötzlich durch die Reihen der Zuschauer. «Zum Tanze reiht euch ein!», fordert er die verdatterten Zuschauer auf. Eben selbst auch noch für einen Zuschauer gehalten, wird den Leuten klar, dass Rinderknecht die Verkörperung des Todes darstellt, der sich seine Opfer aus den Reihen der Gemeinde herauspflückt. Diese sitzen verteilt in der ganzen Kirche herum: Ein Kind, einen Arzt, einen Kirchenmann oder einen Krieger holt sich der Tod.
Nicht wenige Zuschauer sind erstaunt, als sich ihr Sitznachbar plötzlich erhebt und dem Tod Rechenschaft ablegt und sich ihm widersetzt. «Die Botschaft ist klar», sagt Peter Rinderknecht nach dem Stück. «Nirgends sind wir einander ähnlicher als im Tod.» Die ganze schön-schauerhafte und auch etwas mahnende Aufführung endet schliesslich schon nach 45 Minuten, und die Zuschauer werden nach Hause zu ihren Osternestern entlassen. Der Totentanz von Hugo Distler. Foto: Daniel Kellenberger
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