Der Unberechenbare übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft
Der ungarische Ministerpräsident Victor Orban muss sich am Mittwoch in Strassburg dem EU-Parlament stellen. Es wird ein heftiger Schlagabtausch erwartet.

Auch in Brüssel und Strassburg gelten für Hausherren und Gäste die üblichen Höflichkeitsregeln. Doch mitunter geht Inhalt über Form. Als der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, dessen Land im ersten Halbjahr 2011 die EU-Ratspräsidentschaft innehat, kürzlich in Brüssel als Gastgeschenk einen Teppich ausrollen liess, auf dem die Grenzen Grossungarns von 1848 eingewebt waren, protestierten einige EU-Partner lautstark gegen den Affront. Die Nachbarländer Slowakei und Rumänien sehen gar ihre territoriale Integrität infrage gestellt.
Am Mittwoch nun tritt Orban im Strassburger Europaparlament auf, um routinemässig das Programm der EU-Ratspräsidentschaft vorzustellen. Doch was gewöhnlich ein freundlicher Meinungsaustausch zwischen Hausherren und Gast über politische Strategien und Ziele ist, droht diesmal in ein Scherbengericht auszuarten. Denn spätestens mit dem ungarischen Mediengesetz, das Orbans Regierung zu Jahresbeginn in Kraft setzte, hat der rechtspopulistische Ministerpräsident halb Europa gegen sich aufgebracht. Vor allem Liberale und Grüne im EU-Parlament wetterten, das Gesetz entziehe der Pressefreiheit die Grundlage.
Orban, der in Budapest mit einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit regiert, hat einen Medienrat installiert, der mit eigenen Parteigängern besetzt ist. Das Gremium soll die Berichterstattung in Presse, Internet, Funk und Fernsehen auf ihre Ausgewogenheit hin kontrollieren. «Das ist zu abstrakt, Missbrauch ist Tür und Tor geöffnet», sagt dazu der Chef der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament, der Deutsche Martin Schulz.
Grüne drohen mit Sanktionen
Den Kritikern missfällt vor allem, dass der Medienrat bei Zuwiderhandlung hohe, teilweise existenzgefährdende Geldstrafen gegen Verlage und Redaktionen verhängen kann. «Das ist Sache der Justiz, nicht eines politischen Gremiums», sagt Schulz, der die demokratische Gewaltenteilung ausgehebelt sieht, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur DAPD. Inzwischen prüfen die Brüsseler Kommission und das Strassburger Parlament die Vereinbarkeit des Gesetzes mit den EU-Verträgen. Sollte Orban nicht einlenken, haben die Grünen bereits Sanktionen gegen Budapest gefordert.
In Frage käme im äussersten Fall ein Verfahren nach Artikel 7 des Lissabon-Vertrages. Der Passus sieht bei einer «eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung» von demokratischen Grundwerten den Entzug des Stimmrechts eines Mitgliedslandes vor. Das Europaparlament kann ein solches Vertragsverletzungsverfahren mit Zweidrittelmehrheit einleiten. Doch da die Orban-Partei Fidesz zur konservativen EVP gehört, die in Strassburg die grösste Fraktion stellt, ist ein derartiges Vorgehen unwahrscheinlich.
Auch der Sozialdemokrat Schulz hält Sanktionen für kontraproduktiv. Die EU habe angesichts der Euro-Krise Wichtigeres zu tun, als sich in internen Kämpfen aufzureiben. Schulz appellierte deshalb kürzlich in einem offenen Brief eindringlich an Orban, das Mediengesetz nachzubessern und sich auf das Wesentliche der Ratspräsidentschaft zu konzentrieren. Der ungarische Regierungschef zeigt sich öffentlich zwar weiterhin unnachgiebig. «Ich nehme den Kampf an», sagte er am Montag in einem Interview mit der «Bild»-Zeitung. Zugleich bot er aber Schulz ein persönliches Gespräch an, zu dem beide noch vor der Debatte in Strassburg zusammenkommen wollten. «Lenkt Orban ein, ist es gut», sagte der Sozialdemokrat der DAPD. «Andernfalls werden wir ihm harte Fragen stellen.»
Mediengesetz nicht der einzige Kritikpunkt
Doch der Konflikt zwischen der EU und der Regierung in Budapest wird in jedem Fall weiterschwelen. Denn das Mediengesetz ist keineswegs der einzige Kritikpunkt, der in Brüssel für Aufruhr sorgt. Zuletzt hatte ein gutes Dutzend europäischer Grossunternehmen bei der EU-Kommission vehement gegen eine von der ungarischen Regierung im Herbst eingeführte Sondersteuer protestiert. Die Abgabe benachteilige ausländische Investoren und sei wettbewerbswidrig, so die Kritik.
Orban hatte die sogenannte Krisensteuer mit den hohen Profiten begründet, die einzelne Konzerne dank früherer Steuererleichterungen in Ungarn jahrelang gemacht hätten. Der Konflikt droht nun zu eskalieren. Während die Investoren offen mit einem Rückzug aus Ungarn drohen, riefen rechtskonservative Gruppen in Budapest zu Wochenbeginn zum Boykott der ausländischen Unternehmen auf. Auch in dieser Frage dürften die Strassburger Abgeordneten am Mittwoch Aufklärungsbedarf sehen.
dapd/jak
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