Der vergessene Prinz
Samir Nasri sollte Frankreichs nächster Zinédine Zidane werden. Stattdessen ist er nun der wertvollste vereinslose Fussballer der Welt – und Dopingsünder.

Sie sind in die Jahre gekommen, diese Highlight-Videos, von denen es von Samir Nasri doch noch einige gibt. Es sind Filmchen seiner besten Momente. Ausschnitte aus jener Zeit, in der er mit seiner feinen Technik begeisterte. Mit seiner Übersicht. Seiner Ruhe am Ball. Seinen Assists. Seinen Toren. Mal im Dress von Arsenal. Mal im Trikot von Manchester City.
Es sind Relikte, die beweisen, dass er durchaus mal etwas Besonderes war. Heute aber ist vieles anders im Leben des Franzosen. Weder ist er ein Spieler eines angesehenen Premier-League-Clubs, noch bietet er auf dem Rasen Material für ein neues Highlight-Video.
Nasri ist tief gefallen. Am Boden. Er ist mit einem geschätzten Marktwert von 6 Millionen Euro der wertvollste vereinslose Fussballer der Welt. Und seit dieser Woche auch offizieller Dopingsünder. Am Dienstag verhängte die Uefa eine sechsmonatige Sperre gegen ihn. Dies, weil der Fussballer Ende 2016 in einer Klinik eine nicht genehmigte Infusion erhalten habe.
Offenbar sollen ihm im Urlaub in Los Angeles 500 Milliliter davon verabreicht worden sein, weil er zuvor angegeben hatte, sich krank zu fühlen. Die Richtlinien der Welt-Anti-Doping-Agentur sehen bei Profisportlern jedoch nur Infusionen von maximal 50 Millilitern in einem Zeitraum von sechs Stunden vor.
Vom Problemquartier ins Vélodrome
Schon im März 2017 lehnte die Uefa einen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung von Nasris damaligem Club Sevilla ab. Monate später bestätigte der Internationale Sportgerichtshof CAS den Entscheid. Nachdem der 30-Jährige im Januar seinen Vertrag beim türkischen Erstligisten Antalyaspor aufgelöst hat, weil sich der Club dessen Gehalt offenbar nicht mehr leisten konnte, steht er nun nicht nur ohne Arbeitgeber da, sondern darf bis Sommer überhaupt nicht mehr Fussball spielen. Es ist der Tiefpunkt einer Karriere, die so viel glanzvoller hätte verlaufen sollen.
Nasris Geschichte begann in der südfranzösischen Küstenstadt Marseille. In einem Immigrantenviertel. Seine Liebe zum Fussball entdeckte er früh auf den Strassen in seinem Quartier, als er bemerkte, dass er mehr konnte als andere. Sein Weg führte ihn in die Jugendakademie von Olympique Marseille. Einmal erzählte er, wie er als Junge ein grosser Olympique-Fan war und immer das Stade Vélodrome besuchen wollte, der Familie aber das Geld für die Eintrittskarte fehlte. Bald darauf stand der Junge nicht nur regelmässig im Stadion, sondern gar auf dem Rasen.
Als 17-Jähriger debütierte er für Marseille. Und weil seine ersten Auftritte sogleich gefällig waren, tauften ihn die Fans zum Prinzen von Marseille. Nicht wenige sahen in ihm den nächsten Zinédine Zidane, zumal die Parallelen zu der französischen Fussball-Legende frappant waren: Beide haben Wurzeln in Algerien. Beide reiften aus schwierigen familiären Verhältnissen zum Profifussballer in Marseille. Und beide waren am Ball vor allem eines: elegant.
Nasri und die Polemiken
2008 wechselte Nasri zu Arsenal, erlebte bessere und schlechtere Saisons. Im Frühling 2011 schaffte er es ins Premier-League-Team des Jahres. Ein paar Wochen später lockte Manchester City mit viel Geld. In der Nationalmannschaft gehörte Nasri zur talentierten Generation um Karim Benzema, Hatem Ben Arfa und Jeremy Menez. In jungen Jahren führten sie Frankreichs U-17-Nationalmannschaft an der Heim-EM zum Titel. Im selben Stil hätten sie auch das A-Nationalteam prägen sollen. Doch statt für Triumphe sorgten sie vor allem für Polemiken. Es gab Dispute mit arrivierten Nationalspielern wie Lilian Thuram und Wiliam Gallas.
Einmal soll Nasri Stürmer Thierry Henry respektlos gegenübergetreten sein, als er sich im Teambus auf dessen Platz setzte. Auch gegen Journalisten schoss Nasri öfters. Zum Beispiel in der EM-Gruppenphase 2012, als er nach einem Tor den Zeigefinger vor den Mund hielt und hinterher in der Mixed Zone erklärte: «Damit habe ich euch gemeint.» Oder später im selben Turnier, als er einen Journalisten als «Hurensohn» bezeichnet haben soll.
So einzigartig Nasri ist, so sensibel ist er auch. Es heisst, er lese viel, was über ihn geschrieben werde. Und er hat den Hang, seinen Kritikern mitzuteilen, was er von ihnen hält. Wahrscheinlich bringt es dieser Satz eines französischen Fussballexperten auf den Punkt: «Entweder man liebt oder hasst ihn.» Nasri hat es nie verstanden, seine Energie nur in Positives umzuwandeln. Das wurde ihm letztlich zum Verhängnis.
Der frühe Rücktritt vom Nationalteam
2014 sagte Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps bei der Bekanntgabe des WM-Aufgebots, dass er nicht unbedingt die besten Spieler berufen habe, sondern jene, mit denen er die beste Gruppe auf die Beine stellen könne. Nasri war nicht auf der Liste. Statt sich wieder für das Nationalteam aufzudrängen, trat der damals 27-Jährige einfach zurück. «Die Mannschaft macht mich nicht glücklich. Jedes Mal, wenn ich zur Auswahl stosse, gibt es mehr Probleme», sagte Nasri damals.
Und bevor Pep Guardiola im Sommer 2016 Manchester City übernahm, erklärte der Franzose, dass er jener Typ Spieler sei, der zur Philosophie des Katalanen passe. «Er wird ein glücklicher Trainer sein, denn ich bin sehr hungrig.» Guardiola aber verzichtete auf Nasri, lieh ihn nach Sevilla aus. Ein Jahr später zog es den Offensivspieler in die Türkei zu Antalyaspor. Von da an hatte man ihn definitiv vergessen, den Prinzen von Marseille.
Man kann darüber spekulieren, ob es nun an Nasris Charakter oder doch an seinen zahlreichen Verletzungen lag, dass aus dem designierten Nachfolger Zidanes ein Gescheiterter wurde. Er hat nun jedenfalls einige Monate Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen.
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