Der Zürcher Spitzenkoch, sein Bauer und ihr Experiment
Markus Burkhard kochte im Clouds. Jetzt wagen sich er und sein Team an etwas Neues.

Matthias Hollenstein ist ein Bauer ohne Hof – und trotzdem ein Pionier beim Anbauen von Gemüse und Getreide. Markus Burkhard ist ein Spitzenkoch, der im Zürcher Clouds war. Aber er hat sich von den Höhen des Gourmettempels in die Provinz begeben. Und Patrick Honauer ist ein erfolgreicher Biounternehmer, der sich jetzt um die Kinderkrankheiten eines spannenden Schweizer Gastroexperiments kümmert. Die Rede ist vom Hotel und Restaurant Jakob in Rapperswil. Dort versuchen die drei mit ihrem passionierten Team, Landwirtschaft und Spitzengastronomie solidarisch unter einen Hut zu bringen.
Die Hauptperson des Experiments ist Bauer Matthias Hollenstein. Ursprünglich hat er Polymechaniker gelernt, dann ist er biodynamischer Landwirt geworden. Seit einem Jahr bearbeitet er – sehr verstückelt – etwas mehr als fünf Hektaren Land verteilt auf die Gemeinden Jona, Hombrechtikon, Bubikon und Mönchaltdorf. Er pflanzt dort Gemüse und betreibt Ackerbau. Aber nicht im herkömmlichen Sinn. Hollenstein hat sich mit Leib und Seele der «regenerativen Landwirtschaft» verschrieben. Das ist wie Bio – nur viel bodenschonender.
Die regenerative Landwirtschaft hat sich zum Ziel gesetzt, primär den Boden zu erneuern, Humus aufzubauen sowie die biologische Vielfalt zu erhöhen. Diese Bewirtschaftung trägt zum Klimaschutz bei, weil diese Böden CO2 binden. Hollenstein ist auch ein Tüftler. Er betreibt praktische Forschung, um besonders bodenfreundliche Bedingungen zu entwickeln. So weisen seine Anbauflächen meistens eine Bodenbedeckung auf. Diese verhindert, dass Unkraut wächst. Nur so ist es möglich, dass er die meiste Arbeit auf den Feldern allein bewerkstelligt. Ab und zu kommen Helfer, die ihn beim Anbau unterstützen.

Bei der Ernte ist Hollenstein auf Unterstützung angewiesen. Diese erhält er vom Restaurant Jakob und vom Bachsermärt, der bekannten Biofiliale im Seefeld. Die beiden sind auch seine Hauptabnehmer. Zusammen bilden sie eine ökologische und ökonomische Gemeinschaft. Restaurant und Bioladen zahlen dem Bauer einen festen Betrag, unabhängig davon, ob die Ernte gut ist oder schlecht ausfällt. Das gibt Hollenstein Sicherheit. Im Gegenzug dürfen die Betriebe Wünsche anbringen, was die Aussaat betrifft – und das macht erneut ökologisch und ökonomisch Sinn. «Ich muss nichts ernten, was nicht gebraucht wird», so Hollenstein. «Damit verhindere ich Food-Waste.»
Gekocht wird, was reif ist
Hollensteins Tüfteleien zeitigen Erfolg, sein Gemüse wird nicht nur umweltschonend hergestellt, es ist auch von höchster Qualität. Das freut den Spitzenkoch Markus Burkhard, der zusammen mit Flavia Hiestand das Restaurant Jakob in Rapperswil betreibt. Burkhard verwendet fast nur Gemüse von Matthias Hollenstein. Mindestens zweimal pro Woche besucht er den Gemüsebauern, um nachzuschauen, was gerade reif ist und er in seiner Küche verarbeiten kann. Auch Fisch und Fleisch stammen aus der unmittelbaren Umgebung.
Hin und wieder gelingen dem Bauern und dem Koch interessante Experimente. Auf einem Feld am Zürichsee erprobte Hollenstein eine «essbare Gründüngung» aus Erbsen, Mais, Sonnenblumen und acht weiteren Pflanzen. Eine davon war die Chinakohlrübe. Diese überwinterte und bildete im Frühling Blütentriebe. Mit diesen überraschte Hollenstein Burkhard. Der Koch überwellte sie kurz und merkte, dass die Blütentriebe wie Cima di Rapa schmecken.
Seit ungefähr einem Jahr kocht Markus Burkhard in Rapperswil. Saisonal und regional sind dabei keine Schlagwörter, dafür ist Food-Waste ein Fremdwort. Ob Gemüse, Früchte oder Beeren, ob Fleisch oder Fisch, alles wird verwertet. «Bei uns zähen der unverfälschte Geschmack und die Qualität», sagt Burkhard und ergänzt: «Es ist schwieriger, mit Produkten, die unbekannt sind oder die es selten gibt, gut zu kochen. Das braucht neben viel Wissen sehr viel mehr Zeit. Der Gast darf nicht merken, dass wir experimentieren.»
Das Konzept des Jakob erinnert an die hochgepriesenen Gourmettempel in Kopenhagen. Auch die Qualität, das Essen ist exquisit. Das gilt selbst für scheinbar banale Dinge wie dunkles Sauerteigbrot oder gegarte Lammwürfel auf fermentiertem Wirz mit einem Tupfer Meerrettich-Sauerrahm, die als Amuse-Bouche serviert werden. Ebenfalls sehr skandinavisch mutet das Lokal im Innern an. Alles wirkt cool und funktional: Und die Gäste können dem Kochteam bei der Arbeit zuschauen. Billig ist der Schmaus nicht. Drei Gänge kosten 80, fünf 130 und sieben 160 Franken. Zu jedem der Gänge wird eine Erklärung geliefert.
Teamarbeit wird grossgeschrieben. Jeder kann und macht fast alles. Anders wäre der Aufwand nicht zu bewältigen. Für die 25 Plätze wirken in der Küche 6 Leute mit. Die Zusammensetzung der Gänge wechselt fast jede Woche.
Solidarische Landwirtschaft
Der Pioniergeist schweisst Bauer, Küche und Hotel zusammen. Alle arbeiten weit mehr als üblich, nicht selten von acht Uhr morgens bis zwei Uhr in der Früh. «Wir wollen mit unserer Arbeit überzeugen, weil es eine Leidenschaft ist. Zudem geht es bei unseren Produkten um Qualität, Nachhaltigkeit und Kreativität», so Koch Burkhard.
Ohne den Ökounternehmer Patrick Honauer und das gesamte Team könnte das Restaurant Jakob nicht überleben. Honauer hält die Fäden in der Hand. Ihm geht es um Grundwerte, um die soziale Komponente. «Mit unserem Vertrag und der Mitarbeit auf dem Feld unterstützen wir eine solidarische Landwirtschaft und drücken damit unsere Wertschätzung gegenüber dem Bauern, dem Koch und unseren Gästen aus.»
Honauer selbst betreibt ein kleines Ökoimperium. Dazu gehören der Bachsermärt mit fünf Filialen, eine Schule, eine Art Denkwerkstatt und eben das Hotel Jakob, das er mit seiner Schwester leitet. Er verbindet dabei Geschäftssinn mit Idealismus. «Wir arbeiten auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen. Wir wollen, dass alle ihre Bedürfnisse einbringen können.» Bis jetzt haben Honauers vor allem Geld in die sanfte Renovation des Hotels, in das Restaurant und in die Landwirtschaft investiert, auch von ihrem eigenen Konto: «Bis in einem Jahr muss sich das Experiment herumgesprochen haben – und auch rechnen.»
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