«Blind Boy De Vita» in ZürichDer Zwei-Meter-Mann, der gerne mit entblösster Brust singt
Der Luzerner Musiker ist eine Erscheinung. Seine Songs fühlen sich wie ein kurzer Spa-Aufenthalt an, den man tiefenentspannt verlässt.

Es gibt eine Wassertemperatur beim Duschen, bei der ist einem so wohl, dass man sich am liebsten in ihrer Geborgenheit zurücklehnen würde. Auch die tiefe, volle Stimme von Blind Boy De Vita hat diesen Effekt. Die Gitarrenklänge und das Trommeln halten sich teils im Hintergrund und untermalen den Gesang, teils verschmelzen sie mit ihm zu einem kraftvollen Ganzen.
Blind Boy De Vita ist eine Erscheinung: Der nahezu zwei Meter grosse und auf einem Auge blinde Multiinstrumentalist trägt bunte Farben und Muster, manchmal auch spezielle Hüte, hat langes volles Haar und musiziert gern mit entblösster Brust. Er begleitet Gesang und Gitarrenklänge häufig überspitzt mimisch und gestisch – daraus entwickelt sich nicht selten eine gewisse Komik. Denn Blind Boy De Vita will vor allem eines: Spass haben an seiner Musik. Das wird spätestens dann bewusst, wenn im Song «Hold The Knight» auf die unaufgeregten Sounds plötzlich ein aufwendiges E-Gitarren-Solo folgt, vereint mit Klängen, die mit dem Metal-Genre flirten. Im dazugehörigen Musikvideo wird der musikalische Exkurs von ekstatisch Tanzenden begleitet, über die sich Aufnahmen eines zähnefletschenden T-Rex und lodernder Flammen schieben.
Hinter dem Künstlernamen Blind Boy De Vita verbirgt sich der Luzerner Glauco Cataldo, ein Reisender in vielerlei Hinsicht. «Ortswechsel aktivieren meine Kreativität», sagt er in einem Interview mit der «Luzerner Zeitung». Und so ist es nicht vermessen, zu behaupten, sein musikalisches Oeuvre sei unter anderem auch Madagaskar und Senegal zu verdanken. In Senegal hat er neun Monate lang gelebt, hat sich stark mit der Kultur und der Musik des Landes auseinandergesetzt und ist beidem mit grossem Respekt begegnet. Viele afrikanische Musiker gehören inzwischen zu seinen Vorbildern. «Wenn man es richtig angeht, wohnt dem Mix von Kulturen etwas sehr Kreatives inne», sagt Cataldo.
Seine Liebe für die afrikanische Musik führte mitunter dazu, dass er zu einem der Initianten des schweizerisch-afrikanischen Musikprojekts «Forest Jam» wurde, das sich zum Ziel setzt, Musikerinnen und Musiker verschiedener Generationen, Kulturen und mit unterschiedlichen Backgrounds zusammenzubringen. Für Glauco Cataldo hat sich aus diesem Projekt die Band Siselabonga ergeben, eine ebenfalls schweizerisch-afrikanische Co-Produktion, die er inzwischen zugunsten seiner Solokarriere als Blind Boy De Vita verlassen hat.
Womit wir bei einer weiteren Art des Reisens in Glauco Cataldos Leben angelangt wären: Er sucht nach immer neuen musikalischen Erfahrungen. Cataldo war schon in diversen Bands und bei diversen Projekten dabei und ist auch jetzt an mehreren musikalischen Fronten beschäftigt. Als Blind Boy De Vita widmet er sich zurzeit stärker seinen italienischen Wurzeln und dem Soul und Blues, mit dem er aufgewachsen ist. Diese Stossrichtung verdeutlicht der Künstlername, der sich aus dem Nachnamen seines Stiefgrossvaters und dem Beinamen früher blinder Bluesmusiker zusammensetzt. Im Juni brachte er seine EP mit dem Titeltrack «Ship Docking» heraus. Die Songs darauf sind ein erster Vorgeschmack auf Blind Boy De Vitas nächstes Album «La Zattera», das im April 2023 erscheinen wird. Entstanden sind sie in Süditalien und der Schweiz – er hat sie allesamt in seinem Schlafzimmer komponiert und produziert.
Glauco Cataldo reist auch mit dem Anspruch, sich selbst zu finden. Dabei bleibt der Künstler bewundernswert unangestrengt. «Bevor ich meditiert habe, habe ich mir psychedelische Musik angehört, um mehr Ruhe zu finden», sagt er. Auch Blind Boy De Vitas Musik, die er als Psychedelic Folk bezeichnet, soll in ihren Hörerinnen und Hörern innere Ruhe auslösen. Und das schafft sie. Seine Lieder fühlen sich an wie ein kurzer Spa-Aufenthalt, den man tiefenentspannt verlässt. Mit seinen Melodien streut Blind Boy De Vita verschiedenste Emotionen in die Herzen von Hörerinnen und Hörern: Mal allumfassende Zufriedenheit, mal theatralische Melancholie, mal Kraft.

Trotz seiner vielen zeitgleichen Reisen wirkt Blind Boy De Vita niemals rastlos – sondern immer, als sei er angekommen. Wie er das schafft, enthüllt das bald veröffentlichte Album «La Zattera». Es soll von Heimat und Familie handeln, die nicht fix an einen Ort oder bestimmte Menschen gebunden sein müssen: «Ich kann und darf mich überall wohlfühlen und Freundinnen und Freunde als Familie wahrnehmen.»
Konzert: Do 27.10., 20 Uhr, Brauerei Oerlikon, Schärenmoosstr. 105
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