Deshalb wird Leipzig den Bayern gefährlich
Der Spitzenkampf in der Bundesliga ist auch ein Kampf der Systeme. Bayern-Trainer Ancelotti könnte deshalb seine Taktik anpassen.
Eigentlich, hat der verstorbene Bayern-Trainer Dettmar Cramer mal gesagt, gebe es im Fussball nur zwei Probleme: Zeit und Raum. Wie optimiert eine Mannschaft die Zeit am Ball? Und wie lässt sich der Raum eines Fussballfelds optimal nutzen?
Es gibt in der Bundesliga wohl keine zwei Teams, die eine unterschiedlichere Antwort auf diese Frage haben als der FC Bayern und RB Leipzig. München hält die Fahne hoch für einen Stil, der auf Dominanz und flachem Passspiel fusst. Sportdirektor Ralf Rangnick und Trainer Ralph Hasenhüttl haben mit Red Bulls Brause-Millionen hingegen das Ideal vom schnellen Umschaltspiel auf eine neue Stufe gehoben.
Ballbesitz ist seit den Tagen von Louis van Gaal der Grundpfeiler der Münchener Philosophie. Auch in dieser Saison haben die Bayern pro Spiel im Schnitt 70 Prozent Ballbesitz. Trainer Carlo Ancelotti, früher eher als Vertreter des Konterfussballs bekannt, rüttelte bislang nicht an diesem Dogma. Die Bayern wollen auch unter Ancelotti des Gegners Zeit am Ball minimieren und den ganzen Raum des Feldes nutzen.

Im Detail bedeutet dies, dass die Bayern geduldig den Ball von einer Seite zur anderen spielen, bis sich eine Lücke im gegnerischen Abwehrverbund öffnet. In Ancelottis System nehmen hierbei die Mittelfeldspieler die zentrale Rolle ein. Sie werden im Spielaufbau stärker gefordert, als dies unter Vorgänger Pep Guardiola der Fall war. Beim Katalanen lag das Hauptaugenmerk im Spielaufbau noch auf den Innenverteidigern. Nun ist es Thiago, der den Taktstock schwingt. Mit knapp 100 Pässen pro Spiel ist er so häufig am Ball wie kein zweiter Bundesliga-Spieler.
Bayern kontrolliert Tempo und Raum
Ancelotti hat einige Wochen benötigt, um die bestmögliche Formation für seine Bayern zu finden. In den ersten Wochen setzte er auf jenes 4-3-3-System, mit dem er in Madrid die Champions League gewann. Doch für Thomas Müller fand sich hier keine Position.
Mittlerweile hat der Coach eingelenkt. Müller darf auf seiner favorisierten Position im offensiven Mittelfeld auflaufen, die Bayern spielen dadurch im 4-2-3-1, das grosse Ähnlichkeiten zum System von Triple-Sieger Jupp Heynckes aufweist. Der strategische Fokus bleibt derselbe: Die Münchner kontrollieren Tempo und Raum.
Der Leipziger Spielstil fusst auf der entgegengesetzten Annahme: Je weniger Zeit zwischen Ballgewinn und Torschuss vergeht, umso grösser ist die Chance auf Erfolg. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Pressing. Das 4-2-2-2-System der Leipziger zeichnet sich durch geringe Abstände zwischen den Verteidigern aus. Die Leipziger machen den Raum eng, zwingen durch ihr ständiges Anlaufen und Verschieben dem Gegner die Passwege auf.
Sobald der Gegner den Ball zum Aussenverteidiger spielt, starten die Leipziger ihr furioses Pressing. Leipzig zieht sich um den Ball zusammen, sucht die Zweikämpfe – und die Gegner verheddern sich im aggressivem Stil. Die Leipziger verschieben über den Platz, als würden sie von einer unsichtbaren Schnur gezogen. Mit ihrem intensiven Spiel laufen sie pro Spiel etwa vier Kilometer mehr als ihre Gegner.
Leipzigs Stürmer lauern auf Konter
Mittwochabend kommt es zum direkten Aufeinandertreffen der Philosophien. Sächsische Hektik trifft auf bayrische Geduld, Münchener Raumverbreiterung auf RB-Raumverengung. Leipzig wird wohl seine Lieblingsrolle einnehmen: als Aussenseiter, der ackert, läuft und sich durch kompaktes Spiel gegen den Ball auszeichnet. Sie werden vor allem darauf achten, Münchens Wege ins Mittelfeld abzuschneiden. Die vordersten vier Akteure werden verschieben, Passwege schliessen und immer wieder versuchen, den Ball auf die Aussen zu lenken. Dort kann Leipzig an den Seitenlinien Überzahl herstellen.
Die Frage wird sein, wie München auf die Kompaktheit reagiert. Wird Ancelotti am 4-2-3-1 festhalten? Gerade Müller ist ein Meister darin, Lücken hinter dem gegnerischen Pressing zu finden. Das 4-2-3-1 könnte jedoch auch einen Tick zu offensiv sein, gerade wenn Leipzig das FCB-Mittelfeld mit ihrem engen System schachmatt setzt.
Ancelotti könnte sich veranlasst sehen, mit einem zusätzlichen Mittelfeldspieler die Dominanz zu sichern. Und dann wären auch noch Leipzigs Konter zu bedenken. In der Anfangsphase der Saison waren die Bayern gerade für Pässe hinter die Aussenverteidiger anfällig.
Leipzigs Aussen Emil Forsberg oder der umtriebige Stürmer Timo Werner werden auf diese Bälle lauern. Es dürfte die grösste Herausforderung für den Münchener Stil werden, seit Jürgen Klopp mit seinem Vollgasfussball Zeit und Raum im deutschen Fussball neu definierte.
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