
Kaum hatte das Virus Ende Februar die Grenze zur Schweiz überquert, galten alle über 65-Jährigen nur noch als sogenannt vulnerable Personen. Selbst vitale Senioren waren nun besonders Gefährdete, denen man nicht zu nahe kommen durfte und Einkäufe vor die Tür stellen musste. In der ganzen Schweiz wurden Altersheime abgeriegelt, und so manche hätten es am liebsten gesehen, dass gleich für alle Älteren eine Ausgangssperre verhängt und 1,6 Millionen Menschen weggesperrt worden wären – damit alle anderen hätten ausgehen und leben können wie bisher.
Nun aber zeigt eine breit angelegte Studie der Kampagne «Wie gehts dir?»: Vulnerabel sind eher die Jüngeren als die Älteren, jedenfalls dann, wenn man ihre psychische Verfassung betrachtet: 60 Prozent der 15- bis 24-jährigen Befragten gaben Ende Mai an, die Corona-Krise habe sich negativ auf ihr Befinden ausgewirkt. Sie fühlten sich gestresst, unter Druck, und sie ängstigten sich um ihre Zukunft.
Dankbarkeit und Zufriedenheit
Von den über 65-Jährigen hingegen fühlten sich nur 40 Prozent schlechter, viele gleich gut, etliche besser. Und: In keiner anderen Altersgruppe verspürten derart viele Befragte eine so grosse Dankbarkeit wie in dieser. Ihre Zufriedenheit ist während des Lockdown gar noch gestiegen, ebenso das Interesse an dem, was vor sich geht. Den Dankbaren war bewusst geworden, wie privilegiert sie als Schweizerinnen und Schweizer in dieser Situation sind.
Das überrascht. Schliesslich sassen viele Rentnerinnen und Rentner über Wochen alleine in ihrer Wohnung und litten noch mehr als sonst unter der Einsamkeit. Selten bekamen sie einen anderen Menschen zu Gesicht, und wenn, dann aus sicherer Distanz in der Wohnungstür. Ansonsten blieben ihnen nur Telefon und Computer, um mit der Umwelt in Kontakt zu bleiben. Keine andere Generation war während des Lockdown so isoliert wie sie, auch die Jungen nicht.
Wieso sind die Älteren dennoch so optimistisch – und die Jüngeren so verzagt? Die Jungen sind in einer weit unsichereren Situation als die Älteren, die jeden Monat ihre Rente erhalten. Junge erleben mehr kritische Lebensübergänge, wollen von zu Hause ausziehen und suchen eine bezahlbare Wohnung. Sie müssen eine Lehrstelle oder eine Arbeit finden und dazu noch eine Liebe. Das war schon vor dem Virus schwierig, jetzt aber ganz besonders.
Ältere haben die Zuversicht gewonnen, dass der Mensch klug und anpassungsfähig ist.
Viele Ältere aber sind so optimistisch, weil sie etwas haben, was den Jüngeren gerade in diesen kritischen Lebensphasen fehlt: Erfahrung. Manche aus dieser Generation haben noch den Krieg oder die Nachkriegszeit bewusst erlebt und gesehen, dass sich die Gestelle in der Migros und im Coop wieder füllen. Sie haben in den 70er-Jahren die Erdölkrise durchlaufen und realisiert, dass die Weltwirtschaft deswegen nicht zusammenkracht. Oder sie haben während der 80er-Jahre beobachtet, wie bedrohlich schnell das Aidsvirus sich ausbreitet, dass die Menschheit dadurch aber nicht ausgelöscht wurde.
So haben viele Ältere gelernt, mit der Unsicherheit von Krisen umzugehen, und sie haben gelernt, zu verzichten. Sie haben aber auch die Zuversicht gewonnen, dass der Mensch klug und anpassungsfähig genug ist, um eine weitere Krise zu bewältigen. Sie selber sind der beruhigende Beweis dafür.
Nach dem Lockdown haben viele Junge den Isolierten zu Hause ihre Hilfe angeboten. Die Älteren müssen aber nicht nur umsorgt werden. Sie haben auch etwas zu geben.
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Psychische Folgen der Corona-Krise – Die Ängste der Jungen
Vulnerabel sind eher die Jüngeren als die Älteren – jedenfalls dann, wenn man die psychische Verfassung betrachtet. So haben auch die Älteren etwas zu geben.