Die bizarrsten Wahlen der Welt
In Somalia finden zum ersten Mal seit fast 50 Jahren freie Wahlen statt. Die Regierung liess sich dazu ein beispielloskompliziertes System einfallen.

Sie sollten ein «Meilenstein» in der Geschichte des tragischsten Staates der Welt werden: die ersten demokratischen Wahlen in Somalia nach fast einem halben Jahrhundert. Doch was heute in der ruinierten somalischen Hauptstadt Mogadiscio stattfindet, ist eher eine Farce als ein Meilenstein: eine der merkwürdigsten Abstimmungen, die die Welt jemals gesehen hat.
Ohne ein Geheimnis daraus zu machen, haben die 23 Kandidaten der Präsidentenwahl Millionen an US-Dollar für den Stimmenkauf investiert, während die weit überwiegende Mehrheit der über 18-jährigen Somalier die Stimmabgabe lediglich als Zuschauer verfolgen kann. «Wir können nicht behaupten, dass das fantastisch war», räumt der UNO-Sonderbeauftragte für Somalia, Michael Keating, ein: «Aber eine bessere Möglichkeit gab es nicht.»
Den ursprünglichen Plan, alle erwachsenen Somalier an den Urnen zuzulassen, hatte die Regierung bereits vor zwei Jahren wieder fallen gelassen. Die Sicherheitslage in dem seit zehn Jahren von der islamistischen Al-Shabaab-Miliz destabilisierten Land lasse dies nicht zu, hiess es. Stattdessen liessen sich UNO und Regierung ein beispiellos kompliziertes Wahlsystem einfallen: 135 Clan- und Unterclanchefs, die vor fünf Jahren den Präsidenten noch unter sich ausgesucht hatten, sollten 275 Gremien mit jeweils 51 Wahlmännern und -frauen besetzen. Diese wählten bereits im vergangenen Jahr die Mitglieder der beiden Kammern des Parlaments – das Oberhaus mit 54 und das Unterhaus mit 275 Abgeordneten. Heute stimmen diese Parlamentarier über einen neuen Präsidenten ab: Der bisherige Staatschef Hassan Sheikh Mohamud gilt als der aussichtsreichste Kandidat. Mehr Aufwand um keine Veränderung ist kaum auszudenken.
Schon bei der Wahl der Parlamentarier war es zu Verzögerungen und Unregelmässigkeiten gekommen – eigentlich sollte die Präsidentenwahl bereits im August des vergangenen Jahres stattfinden. Selbst Somalias oberster Rechnungsprüfer, Nur Farah Jimale, räumt ein, dass bei der Wahl der Parlamentarier «Korruption, Einschüchterungen und der Missbrauch von Steuergeldern» gang und gäbe gewesen seien.
Wandeln in der Dunkelheit
Für einen Sitz in einer der beiden Kammern sollen bis zu 1,3 Millionen US-Dollar bezahlt worden sein, ein Bewerber soll seine Hausangestellte als Gegenkandidatin ins Rennen geschickt haben, um sich des Sieges sicher sein zu können. Wer diese Wahl als legitim betrachte, «wandelt in der Dunkelheit», meint Abdirashid Hashi, Direktor des Heritage-Instituts in Mogadiscio. Aussenstehende treibt die Frage um, wieso ein Somalier überhaupt ins Parlament will: Allein in den vergangenen vier Jahren wurden 18 Abgeordnete ermordet – die meisten von ihnen von Al-Shabaab-Mitgliedern, die auch für eine Welle von Anschlägen in Mogadiscio kurz vor den Wahlen verantwortlich zeichneten. Ein Parlamentssitz kann einem Somalier jedoch neben politischem Einfluss zu ökonomischem Wohlstand verhelfen: Der Chaosstaat steht auf Platz 1 der von Transparency International erstellten Hitliste der korruptesten Staaten der Welt.
Die Favoriten der Präsidentschaftswahl – neben Sheikh Mohamud der bisherige Ministerpräsident Omar Sharmarke, Ex-Präsident Sheikh Sharif sowie der ehemalige Bürgermeister Mogadiscios, Mohamed Nur alias Tarzan – sind alle Teil des politischen Establishments und haben während ihrer Amtszeit von der endemischen Korruption profitiert. Von keinem ist zu erwarten, dass er das seit drei Jahrzehnten von Bürgerkriegen, Hungersnöten und Selbstmordanschlägen zerstörte Land auf eine neue Umlaufbahn bringt. Nach einer ausgebliebenen Regenzeit steht Somalia auch jetzt wieder vor einer Hungersnot: Dreiviertel des Viehbestands des Landes sollen bereits verendet sein.
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