Die bösen Buben aus dem Kreis 12
Die Rapper von Gsezhlos provozieren gerne. Doch nicht ohne Grund, wie ein Spaziergang mit dem Kopf der Crew zeigt.

Es sind böse Zeilen, die sich auf dem neuen Album von Gsezhlos finden. Es ist Gangsterrap. Und mancher Hörer dürfte sich fragen, ob diese Musik, die er da hört, in der gleichen Schweiz stattfindet, in der er lebt. Sind diese Geschichten aus einer halbseidenen Welt, wütende Berichte aus einem Leben in Schräglage? Oder ist es Pose? Beides stimmt, so viel vorweg. Ein Spaziergang mit Samir Jebeniani verdeutlicht das.
«Ich kenne da ein paar Geschichten», sagt er, als er den Schreiber beim Bahnhof Stettbach empfängt. Jebeniani, in Sportjacke gekleidet und mit rasierten Schläfen, ist der Kopf der Rapgruppe Gsezhlos. In den Händen hält er eine Tasche, darin Kamera und Drohne, um später in der Hochhaussiedlung ein Video zu drehen. Er lebe heute mit Frau und zwei Kindern zwar in der Nähe der Forch, sein Studio betreibt der 34-Jährige in Dübendorf. Doch er sagt auch: «Ich vermisse das Quartier. Ich wollte nie irgendwo anders hin.» Weggegangen sei er damals nur, weil er nicht wollte, dass seine Kinder hier aufwachsen.
Neben dem architektonisch aufpolierten Bahnhof Stettbach funkelt neu die Samsung Hall, die Belebung des Aussenquartiers ist in vollem Gange. Auch beim modernen Sportplatz Herrenschürli nimmt man eher Aufwertung wahr und nicht vernachlässigte Banlieue. Doch im Gespräch geht es um etwas anderes. Wir kreuzen die Bank, auf der Jebeniani mit seiner Gruppe als Jugendlicher herumhing, bis die Polizei einen Zaun davor baute. In den Neunzigern sei er Teil einer Gang geworden, das musste er, wollte er sich gegen die älteren im Quartier behaupten. «Man muss Stärke markieren, ob du willst oder nicht», sagt er.
Und wenn Jebeniani diese Sätze sagt, die aus einem Mafiafilm stammen könnten, dann hat das nie etwas Aufgesetztes. Nie spielt er, wie so viele andere Rapper, den Bad Boy – und wenn er es doch getan haben sollte, dann sehr geschickt.

Samir Jebeniani ist in Schwamendingen auch so was wie ein Sozialarbeiter. Foto: Thomas Egli
An der Tram-Endhaltestelle Hirzenbach, wo sich die Hochhäuser in den klaren Frühlingshimmel strecken, zeigt Jebeniani auf einen der Blöcke. Erzählt Geschichten, die sich hier in den Stockwerken abspielten. Sie drehen sich immer um Drogen oder Waffen. Viele alte Freunde seien auf die schiefe Bahn geraten und starben früh. Mehr als 15 aus seinem näheren Umfeld von damals seien bereits tot, sagt Jebeniani, einige gestorben an Herzinfarkten, ausgelöst durch Kokainmissbrauch. Sein Gesichtsausdruck ändert sich nicht, während er das sagt. Er ändert sich sowieso selten. Nur selten lächelt er. Inmitten dieser ruhig anmutenden, sorgfältig bepflanzten, Schwamendinger Welt, durch die wir hier spazieren, füllt sich dieses von Gsezhlos so drastisch besungene Leben auf einmal mit Leben.
Der Schreiber fragt: Warum hat er diese Kreise nicht verlassen? Warum ist er nicht einfach für immer abgehauen? «Das wollte ich nie. Das Quartier ist mein Zuhause», sagt er. «Das sind keine schlechten Menschen hier, sie haben nur einen anderen Lifestyle.» Das gilt aber nicht in jedem Fall: «Du musst auch wissen, wen du an dich ranlässt. Irgendwann wollen sie Geld von dir.» Manchmal noch kämen Bekannte von früher und bäten ihn um einem Gefallen, doch lasse er sich da nicht mehr reinziehen. «Der Teufel sucht einen. Du musst stark sein.»
Stärke hat er als Junge schon gezeigt. Der Vater handelte mit Drogen, sass oft ein und wurde wegen Drogenhandels nach Tunesien ausgeschafft. Jebeniani sass schon siebenmal in U-Haft. Es sei nicht leicht gewesen für Leute wie ihn, ausserhalb des Illegalen Karriere zu machen, sagt er. Von seinen Bekannten sei jedenfalls keiner auf normale Weise an Geld gekommen. Kein Doktor, kein Anwalt, kein Start-up-Unternehmer weit und breit.
200 Franken pro Beat
Jebenianis Geschäft wurde der Gangsterrap: Indem er sich immer mehr in sein Studio zurückzog, gelang es ihm einerseits, auf Halbdistanz zu den kriminellen Kreisen zu gehen. Anderseits verdient er seinen Unterhalt auch mit den jungen Männern aus der Nachbarschaft, die bei ihm in seinem professionellen Studio ihre Reime aufnehmen. 200 Franken bezahlen sie für eine Session. Im Preis inbegriffen ist auch die Hoffnung auf eine Karriere, klar, auf eine Chance jenseits von Hilfsarbeiterjob oder Drogenkarriere. Hunderte hoffnungsfrohe Rapper hat das schon angelockt – längst nicht mehr alles Gangster, wie Jebeniani betont.
Beim Kebab-Laden an der Überlandstrasse treffen wir einen von ihnen. Er stellt sich als Emra aus Seebach vor. Nächsten Monat mache er den Lehrabschluss als Stromer, weshalb er mit dem Rappen vorerst zurückstecken müsse. Danach aber möchte er seine Karriere lancieren. «Durch Jebeniani bin ich überhaupt erst zum Rappen gekommen», sagt er. Er höre Gsezhlos schon seit seiner Kindheit und ist nun auch auf dem neuen Album mit einigen Parts vertreten – eine grosse Sache für ihn. «Samir Jebeniani ist wie der König von Schwamendingen», sagt er. «Er ist wie das Sozialamt. Schreiben Sie das ruhig auf», sagt sein Kollege, der sich als Fan und Manager vorstellt und später ebenfalls beim Videodreh mittut.
Capri-Sonne und Wodka
Im Innenhof einer Tankstelle hat sich, als wir ankommen, bereits ein Dutzend junge Männer rund um einen weissen BMW gruppiert. Auf dessen Kofferraumdeckel stehen Capri-Sonne und Wodka. «Das perfekte Mischgetränk», sagt einer mit K12-Pulli, Kreis 12, Schwamendingen. Jebeniani packt Kamera und Drohne aus, Emra, der Junge von vorher, bringt sich in Stellung. Hinter ihm mit verschränkten Armen eine Gruppe Männer. Einige von ihnen haben tätowierte Fingerrücken: «8051», die Postleitzahl Schwamendingens. Auf der Hand eine Krone und darunter wieder: «K12».
Warum diese Quartierzugehörigkeit so wichtig für sie sei, lautet die Frage später im Gespräch. «Es ist das beste Quartier der Stadt, wo sollen wir sonst leben?» Hier hielten die Leute zusammen, sagt einer, vielleicht Anfang zwanzig, mit ernstem Blick und dem Spruch «Alles isch echt» auf dem Pulli. Ein anderer weist darauf hin, dass Schwamendingen sehr viel Grünfläche vorweise. Gangster nach Schweizer Art, klar, aber die Probleme der Jungen hier sind echt. «Das schnelle Geld mit illegalen Geschäften liegt hier um die Ecke», sagt ein anderer. «Egal, was du machst, irgendwann gehst du hoch», heisst es bei Gsezhlos. Ein Gerücht von Heroindealern macht die Runde. «Was du hier alles siehst, ist krank.»
Schwamendingen ist auch ein Stigma
Die jungen Leute sagen im Gespräch, dass sie das Leben in der Schweiz lieben. Die meisten von ihnen wollen es in einem Job zu etwas bringen, viele machen eine Lehre. Nur fühlten sie sich aufgrund ihrer Herkunft benachteiligt. Und sie leben in Schwamendingen, weshalb potenzielle Arbeitgeber ihnen manchmal misstrauen. Das Quartier, Schwamendingen, ist auch ein Stigma. Das mache sie wütend.
«Ich han nie welle id Schuel!», schallt es aus den Boxen des BMW, darunter ein schwerer Bass und eine rührende Pianomelodie. Auf dem Balkon im Haus über der Tankstelle nickt ein Mann mit Kind auf dem Arm mit dem Kopf. Die Sonne geht unter über dem Glattal, es ist eine gute Szenerie für den Videodreh.
«Das Zeugs ist viel zu aggressiv»
Was hat es mit diesen extrabösen Texten auf sich? «Künstlerische Freiheit», sagt ein junger Mann mit Spiegelsonnenbrille, der sonst eher im Hintergrund agierte. «Ich glaube nicht, dass die Musik einen grossen Einfluss auf die Hörer hat», sagt Jebeniani. Ein anderer, der immer etwas abseits steht: «Das Zeugs ist viel zu aggressiv. Finden Sie das etwa gut?» Rap ist für diese jungen Menschen Partizipation und Rebellion zugleich. Dass der Durchschnittsschweizer ihn nicht gut findet, ist Teil der Idee.
Einer fragt bei der Verkäuferin im Tankstellenshop nach, ob seine Freunde für den Videodreh vermummt und mit einer Gaspistole bewaffnet in den Laden stürmen könnten. Die Verkäuferin verneint, doch vor dem Geschäft dürften sie drehen. «Sieht richtig bös aus», sagt einer, als er den Clip später sieht. Es wird langsam dunkel. Ein junger Mann möchte, kurz bevor der Schreiber sich verabschiedet, noch etwas loswerden: «Schauen Sie, dass Schwamendingen im Bericht nicht schlecht rüberkommt. Der Ruf des Quartiers ist sonst schon ramponiert.»
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