Die Brexit-Uhr tickt weiter
Jean-Claude Juncker hätte sich einen klaren Sieg der «tough lady» Theresa May gewünscht.

Es hätte eine gute Nacht werden können. Seine tschechischen Gastgeber haben Jean-Claude Juncker fürstlich untergebracht in einer Suite des Palais Liechtenstein auf der Kampa-Insel in der Moldau. Der Blick auf die Prager Burg ist herrlich. Junckers Gedanken aber wanderten weit weg, nach London. Übertriebene Sympathien für Theresa May werden dem Präsidenten der EU-Kommission nicht nachgesagt. Er hat die Britin als «tough lady» bezeichnet. Ein Abendessen in der Downing Street vor einiger Zeit lief schlecht. Und doch musste sich Juncker, auch wenn er das nicht gesagt hätte, am Wahlabend einen klaren Sieg Mays wünschen. Klare Verhältnisse, damit die Brexit-Verhandlungen wie geplant am 19. Juni beginnen können. Am frühen Abend glaubte Juncker noch daran, ein paar Stunden später schon nicht mehr.
«Der Staub in Grossbritannien muss sich jetzt legen», sagt Juncker am Freitagmorgen vor seinem Auftritt bei einer Konferenz über Sicherheit und Verteidigung in Europa zu Redaktion Tamedia. Und: «Jetzt sind die Briten am Zug. Wir sind seit Monaten bereit zu verhandeln. Wir können morgen früh anfangen.» Michel Barnier, Junckers Chefunterhändler für den Brexit, twittert: «Lassen Sie uns die Köpfe zusammenstecken und einen Deal machen.» Unklar ist, wie ein solcher aussehen könnte. In der Kommission herrscht Fassungslosigkeit über die Lage in London. «Die Scheidungspapiere sind von unserer Seite aus fertig. Sie müssen nur unterschrieben werden», sagt einer. Aber man wisse nicht einmal, wer von der anderen Seite kommen werde.
Das trifft ein Grundgefühl nicht nur unter Brüsselern. Das Brexit-Votum der Briten liege nun schon fast ein Jahr zurück, sagt der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka während einer Pressekonferenz mit Juncker. «Im Laufe dieses Jahres waren Grossbritannien und seine Regierung nicht in der Lage, die Verhandlungen über den Austritt aus der Europäischen Union zu beginnen», rekapituliert er trocken. Ganz anders aufseiten der EU: Da gebe es eine klare Position der Mitgliedsstaaten und ein Verhandlungsmandat an die EU-Kommission. Die EU könne jederzeit mit den Verhandlungen beginnen. Und er erinnert nochmals an die Frist: zwei Jahre.
«Wir wissen nicht, wann die Brexit-Gespräche beginnen, aber wir wissen, wann sie enden müssen», twittert EU-Ratspräsident Donald Tusk. Dieser Tag ist der 29. März 2019. Das ergibt sich aus Artikel 50 des EU-Vertrages, der eigentlich nach dem Prinzip Atombombe konzipiert ist – geschaffen zur Abschreckung, nicht zur Anwendung. Der Austritt wird demnach wirksam mit Inkrafttreten eines Austrittsabkommens, spätestens aber zwei Jahre nach der offiziellen Mitteilung eines Staates, dass er auszutreten wünsche.
Die tickende Uhr schafft also ohnehin einen fast unmöglichen Zeitdruck, die schwierige Londoner Regierungsbildung macht nun alles noch schlimmer. Theoretisch wäre es möglich, die Frist zu verlängern. Doch das müssten die Briten beantragen, wofür es keine Anzeichen gibt. Ausserdem müssten alle EU-Staaten zustimmen. Stunden später kommt aus London tatsächlich die Nachricht, May wolle am Zeitplan festhalten. Was allerdings in der EU mit Skepsis aufgenommen wird.
Mehrmals hatte May gewarnt, dass die Briten ohne Deal austreten könnten. Kein Deal sei besser als ein schlechter. «Ich muss mich nicht mit allen möglichen Szenarien beschäftigen, wenn ich sie nicht für realitätstüchtig halte», sagt dazu Kommissionspräsident Juncker. «Ich glaube nicht, dass dieser Satz von Theresa May so verstanden werden sollte, als ob Grossbritannien zwei Optionen hätte. Grossbritannien hat nur eine Option, nämlich dass es einen fairen Deal gibt. Und es wird einen Deal geben.»
Parallele Verhandlungen
In der Praxis wird das kompliziert: May will parallel über ein neues Handelsabkommen verhandeln; die EU will erst Klarheit im Streit über die Finanzen und die Rechte von EU-Bürgern im Königreich. Ausserdem muss auch das EU-Parlament dem Austrittsabkommen zustimmen. Ein Jahr hat ausgereicht, um tiefe Gräben zwischen Briten und 27er-EU auszuheben. Ein paar Brücken aber bleiben: Für «unabdingbar geboten» halte er eine Sicherheitspartnerschaft mit den Briten über den Brexit hinaus, sagt Juncker: «Der Kampf gegen den Terror erlaubt es nicht, dass wir hier nicht zusammenarbeiten. Das ist ein Kampf, den es gemeinsam zu führen gilt, und zwar auf eine intimere Weise, als es mit anderen Teilen der Welt der Fall ist.»
Der Brexit an sich aber bleibt ein Fakt, an dem niemand rüttelt. Ganz vorsichtig nähert sich der Luxemburger indes einem anderen Gedankenspiel. Wäre irgendwann ein «Breturn» denkbar, eine Rückkehr der Briten in die EU? «Wenn ich das jetzt aktiv betreiben oder auch nur beschreiben würde, wäre das der Verhandlungsführung nicht von Nutzen», sagt er. «Wenn das aber so käme, wäre ich nicht derjenige, der das verhindern würde.»
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