Interview zu Videoprojekt«Die Bundesverfassung hat mit uns allen zu tun und geht uns alle an»
Dominic Büttner hat die Bundesverfassung verfilmt: Er liess sich alle 195 Artikel vor der Kamera vorlesen. Im Gespräch erzählt er, was er dabei erlebt hat.

Herr Büttner, ihr Projekt «Constitutio» inszeniert die Bundesverfassung in Bild und Ton auf den Videoplattformen Youtube und Vimeo. Warum haben Sie dafür etwa 175 Menschen aus allen Landesteilen und allen Bevölkerungsgruppen gesucht und die Artikel nicht einfach durch professionelle Schauspielerinnen und Schauspieler vorlesen lassen?
Oh nein, keinesfalls! Sie hätten die Verfassung zwar perfekt und verständlich vorgetragen, aber das wäre ein Verrat an meiner ursprünglichen Idee gewesen.
Nämlich …
… dass die Bundesverfassung mit uns allen zu tun hat und uns alle etwas angeht: den Metzger und die Bundesrätin, den Flüchtling und die Richterin, die Rapperin und den Schüler.
Die Bundesverfassung als Klammer, die uns alle zusammenhält?
Ja, seit der Pandemie – aber auch jetzt, im Zusammenhang mit den Flüchtlingen – offenbaren sich tiefe Gräben in unserer Gesellschaft. Dem will ich entgegenwirken. Ich will den Verfassungstext und damit das, was uns seit Generationen verbindet, erlebbar machen.
Dafür haben Sie auch wildfremde Leute auf der Strasse angesprochen. Wie haben die reagiert?
Fast ausnahmslos positiv. Ich war immer wieder vom riesigen Goodwill überrascht, der mir für das Projekt entgegengebracht wurde. Viele haben dann auch mit mir diskutiert, was die Texte für sie bedeuten.
«Ich lasse nicht nur die Bundesverfassung vortragen, ich zeige auch ein Bild der Schweiz.»
Der Autoposer war auch so ein Zufallsfund?
Nein, ich habe ihn extra angefragt, nachdem er kürzlich im «Magazin» porträtiert wurde. Er erwies sich als ausserordentlich offen für die Idee und hat sich dann viel Zeit genommen.
Warum sollen sich die Leute die Bundesverfassung anschauen, statt sie zu lesen?
Ich lasse nicht nur die Bundesverfassung vortragen, ich zeige auch ein Bild der Schweiz. Es werden Räume sichtbar wie zum Beispiel Wohn-, Schlaf- und Badezimmer, der Gerichtssaal im Bundesgericht, eine Seilbahngondel, der Kühlraum einer Metzgerei, ein Coiffeursalon, eine Jagdhütte und ein Probelokal. Es ist ein Zeitdokument des Lebens in der Schweiz der 2020er-Jahre.
«Es hat niemand darauf bestanden, namentlich erwähnt zu werden, nicht einmal die Bundesrätin. Grossartig, nicht?»
Es wird niemand mit Namen erwähnt, warum?
Namen würden vom Inhalt ablenken. Es ist mir wichtig, alle Teilnehmenden gleich zu behandeln, es hat aber auch niemand darauf bestanden, namentlich erwähnt zu werden, nicht einmal die Bundesrätin. Das ist Schweiz. Grossartig, nicht?
Gibt es Verfassungsartikel, die schwieriger zu verfilmen sind als andere?
Mir ist Diversität sehr wichtig. Es gibt zudem Themen, bei denen ich mir gut überlegt habe, von wem ich sie vorlesen lasse. Die Artikel, in denen es um Sexualverbrechen geht, habe ich mit Frauen und einem Anwalt verfilmt. Den Artikel 68 zum Sport liess ich vom besten Schweizer Rollstuhl-Leichtathleten Marcel Hug vortragen.
Zu Wort kommen auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter, Nationalbankpräsident Thomas Jordan oder der Schriftsteller Franz Hohler. Wie waren die Reaktionen bei der Prominenz?
Es gab natürlich auch Absagen, oder Mails blieben gleich ganz unbeantwortet. Aber viele machten spontan mit und fanden Zeit dafür in ihrer Agenda. Bei der Nationalbank war es anfänglich etwas kompliziert, aber dann hat sich das Team von Thomas Jordan extrem bemüht.
Inwiefern?
Sie haben angeboten, die Aufnahmen im Tradingroom der Nationalbank zu machen, wo für Milliarden Devisen gehandelt werden – und wo «Normalsterbliche» normalerweise keinen Zutritt haben. Überhaupt, Herr Jordan hat sich ausführlich Zeit genommen für das Projekt.
Harzig lief dafür die Suche nach finanzieller Unterstützung. Der Bund hat nichts beigetragen. Und das, obwohl das Parlament das 175-Jahr-Jubiläum der Verfassung dieses Jahr gross feiern will.
Ja, das ist schwer verständlich. Immerhin darf ich an den offiziellen Feierlichkeiten Anfang Juli in Bern einen Kurzfilm in den vier Landessprachen zeigen.
Immerhin: Das Justizdepartement will einen Ausschnitt als Kurzfilm zeigen.
Die neue Bundesrätin Elisabeth Baume Schneider hat das persönlich entschieden. Sie erkundigte sich vorab, ob die Inklusion im Projekt gewährleistet sei. Aber sie wollte persönlich keinen Artikel vortragen, weil sie findet, es sei an der Bevölkerung, diese Rolle einzunehmen.
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