
Als die deutschen Christdemokraten das letzte Mal zwischen zwei Kandidaten für den Vorsitz auswählen konnten, schrieb man das Jahr 1971. Seither wurde die Partei von zwei grossen Figuren dominiert: von Helmut Kohl (1973–1998) und Angela Merkel (2000–2018). Während 16 respektive nunmehr 13 Jahren regierten die beiden als Kanzler auch Deutschland.
Dies allein zeigt, wie selten und bedeutsam ein Wechsel an der Spitze dieser Partei in der Regel ist. Wer die CDU übernimmt, hat gute Aussichten, nächster Kanzler zu werden und das mächtigste Land Europas zu führen.
Nach 18 Jahren Merkel stellt sich der CDU die Richtungsfrage. Die ostdeutsche Protestantin hat die Union in den letzten zehn Jahren konsequent in die politische Mitte geführt und dort viele Wahlen gewonnen. Als Reaktion auf ihre grosszügige Politik in der Euro- und in der Flüchtlingskrise hat sich in den letzten Jahren jedoch rechts von der CDU eine neue Konkurrenz etabliert, die sich offen als Gegenentwurf anbietet: die Alternative für Deutschland. Ihr Erfolg ist wenigstens zum Teil «Fleisch vom Fleische» der alten CDU.
Merz bietet sich als Führungsfigur an, Kramp-Karrenbauer als Brückenbauerin.
Um den Aderlass nach rechts zu stoppen, schlugen die Christdemokraten und die bayerische Schwester CSU in den letzten Monaten vor allem in der Asylfrage schärfere Töne an. Dies führte dazu, dass die Union diesen Herbst nun auch in der Mitte Hunderttausende von Wählern verlor, vor allem an die Grünen. Bedrängt von beiden Seiten, ist die Union in den Umfragen seit Sommer 2017 von 40 auf 28 Prozent geschrumpft.
Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer, die aussichtsreichsten Kandidaten für Merkels Nachfolge, stehen für zwei nahezu gegensätzliche Versprechen: Merz möchte die CDU wieder schärfer konservativ und liberal profilieren. Er hofft, sie damit für Konservative, die sich von der Merkel-CDU entfremdet haben, attraktiver zu machen und Wähler von der AfD wie der FDP zurückzugewinnen.
Kramp-Karrenbauer will die Partei in der Mitte halten, aber durch mehr Debatte und Beteiligung dafür sorgen, dass auch konservative Meinungen wieder besser zur Geltung kommen. Während Merz sich der CDU als strahlende Führungsfigur anbietet, verspricht Kramp-Karrenbauer als Brückenbauerin einen breiten, integrativen Politikansatz. Merz steht symbolisch, vielleicht auch politisch, für den grösstmöglichen Bruch mit der Ära Merkel, Kramp-Karrenbauer für eine Erneuerung von Merkels politischem Erbe, also für eine gewisse Kontinuität. In Stil, Ausrichtung und Methode hat die CDU eine echte Wahl.
Wolfgang Schäuble, die graue Eminenz der Partei
Wie sie am Parteitag in Hamburg ausgehen wird, ist völlig offen. Gewiss scheint einzig, dass der dritte Anwärter, Jens Spahn, chancenlos bleiben dürfte. An den acht Regionalkonferenzen, an denen sich die Kandidaten vor rund 15'000 Mitgliedern vorstellten, erhielt Merz meist den heftigsten Applaus. Vermutlich war nicht alle Begeisterung spontan, die einfachen Parteimitglieder sind zudem erheblich konservativer eingestellt als die Funktionäre oder die Wähler.
Gewählt wird der neue Vorsitzende von den 1001 Delegierten der Partei, der mittleren Funktionärsschicht also. Diese orientiert sich nicht zuletzt an der Frage, welcher Chef oder welche Chefin den Delegierten die besten Aussichten bietet, ihr Mandat bei der nächsten Wahl zu verteidigen.
Beide Kandidaten haben in der Partei starke Unterstützer gewonnen: Merz in der mächtigen Mittelstandsvereinigung und in der Jungen Union, zudem in der Person von Wolfgang Schäuble, der 76-jährigen grauen Eminenz der Partei, Kramp-Karrenbauer unter anderem in der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, in der Frauen-Union und in der mitgliederstarken Kommunalpolitischen Vereinigung.
Jeder fünfte CDU-Wähler empfindet Merz als «unangenehm», nur jeder dreissigste Kramp-Karrenbauer.
In repräsentativen Umfragen unter CDU-Anhängern zur Wahl des Parteivorsitzenden lag Kramp-Karrenbauer zuletzt zwischen 9 und 16 Prozentpunkte vor Merz. Rund 60 Prozent halten die Noch-Generalsekretärin jeweils für «sympathisch» und «glaubwürdig», Merz' entsprechende Werte betragen 16 und 29 Prozent. Jeder fünfte CDU-Wähler empfindet Merz als «unangenehm», nur jeder dreissigste Kramp-Karrenbauer.
Nach der Euphorie, die sich in der CDU in den letzten sechs Wochen angesichts der offenen Wahl ausgebreitet hatte, ist die Partei jetzt, da es um den Entscheid geht, tief gespalten. Es wird eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben des neuen Vorsitzenden sein, zu verhindern, dass die Partei dauerhaft in zwei Lager zerfällt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch
Die CDU hat eine echte Auswahl
Wer folgt Angela Merkel an die Spitze der CDU? Die Wahl zwischen Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer hat enorme Bedeutung für das gesamte deutsche Politsystem.