Film-Highlights der WocheDie Doku «Schwarzarbeit» zeigt, wie Bauarbeiter zu Hungerlöhnen schuften
Ebenfalls neu im Kino: die Fortsetzung des britischen Liebesdramas «The Souvenir» und ein Drama über drei Dreissigjährige in Paris.

Schwarzarbeit
Dokumentarfilm von Ulrich Grossenbacher, CH 2022, 109 Min.
Dass solche Zustände herrschen, wie dieser Film sie zeigt, ist schier nicht zu glauben. Und doch ist es wahr. Wir sehen Bauarbeiter, Küchenhilfen und Altenpflegerinnen, die ohne Vertrag, ohne Visum und ohne Versicherungen zu Hungerlöhnen schuften – hier in der Schweiz. Regisseur Ulrich Grossenbacher («Messies: Ein schönes Chaos») hat für seinen investigativen Dokumentarfilm Inspektoren der Berner Arbeitsmarktkontrolle bei ihrem Job begleitet. Wie in einem Polizei-Thriller ist er hautnah mit dabei, wenn die Kontrolleure unangemeldet auf Baustellen, in Lebensmittelläden und Gastronomiebetrieben auftauchen, um zu sehen, ob auch alles rechtens ist.
Grossenbacher stellt dabei immer den Menschen ins Zentrum. Nicht nur die Bauarbeiter und Küchenhilfen kommen zu Wort, sondern auch die Inspektoren selbst. Während draussen die Berner Landschaft in all ihrer Pracht vorbeizieht, unterhalten sie sich im Wageninneren über ihre Erfahrungen und Zweifel. Diese Szenen sind es, die den Film zum Ereignis machen, weil da die grosse Welt in der kleinen gespiegelt wird. Denn darum geht es im Kern: um Lohnschutz, um flankierende Massnahmen und letztlich um das gescheiterte Rahmenabkommen mit der EU.
Die grosse Politik verkörpert der SP-Mann und Gewerkschafter Corrado Pardini, dem der Film ins Parlament und zu Redeanlässen folgt. Hinter der Berner Idylle dreht das unerbittliche Karussell globaler Arbeitsmigration. Es ist ein kaputtes System, und die Menschen sind darin gefangen. Ulrich Grossenbacher hat es gefilmt. (mbu)
Kosmos, Riffraff
The Souvenir: Part II
Drama von Joanna Hogg, GB/USA/Irl 2021, 106 Min.
Im Mai feiern Xenix und Filmpodium das Werk von Joanna Hogg, die mit ihren Porträts der oberen Mittelklasse zu den faszinierendsten Regisseurinnen Englands gehört. Ihr Gespür für Brüche im Zwischenmenschlichen und für gesellschaftliche Prägungen verbindet frühere Spielfilme wie «Unrelated» – mit Tom Hiddleston («Loki») – mit Hoggs intimem Zweiteiler «The Souvenir» (2019/21).
Mit letzterem gelang der 62-Jährigen die schönste Autofiktion der letzten Jahre: Das Selbstporträt von Joanna Hogg als junge Filmschülerin Julie (Honor Swinton Byrne) handelt von Hoggs Beziehung mit einem Heroinabhängigen.
Der zweite Teil erzählt, wie Julie über die traumatische Phase ihren Abschlussfilm zu drehen beginnt, dabei aber an sich zweifelt. Eine Rekonstruktion und ein Bildungsroman dritter Ordnung, wo sich die Konfusion der Jugend und der Schmerz in künstlerische Artikulation verwandeln. Es ist immer Kopf und Herz bei Joanna Hogg: Ihre Gefühle sind mehrschichtig. (blu)
Joanna Hogg im Xenix: Mo 2.5., 20.15 Uhr. Premiere von «The Souvenir: Part II»
Joanna Hogg im Filmpodium: Fr 6.5., 18.30 Uhr. «Das Kino durch die Augen von Joanna Hogg», Podiumsgespräch mit Michael Sennhauser
Joanna-Hogg-Retrospektive: Do 28.4.–So 29.5., Xenix
«Cinema Seen Through the Eyes of: Joanna Hogg». Zehn Filme, ausgewählt von Joanna Hogg. So 1.5.–Sa 28.5., Filmpodium
Les Olympiades
Drama von Jacques Audiard, F 2021, 106 Min.
Les Olympiades heisst eine Metro-Haltestelle im 13. Arrondissement von Paris. Ursprünglich war der Bezirk so etwas wie das Chinatown der Stadt, jetzt ist er viel durchmischter. Im Zentrum des Films stehen drei Dreissigjährige, die dort leben: Camille (Makita Samba), ein Lehrer, der an seinem Beruf zweifelt. Émilie (Lucie Zhang), die aus jedem Job rausgeschmissen wird. Und Nora (Noémie Merlant), die als Studentin ein neues Leben beginnen will.
Jacques Audiard, der Regisseur von «Un prophète», erzählt die verwobenen Geschichten der drei als zärtliches Drama mit komödiantischem Einschlag. Der Film basiert auf verschiedenen New-York-Comics des US-Amerikaners Adrian Tomine, «Les Olympiades» wirkt aber sehr französisch, sehr bunt – und ist schwarzweiss gedreht. (ml)
Arthouse Piccadilly, Kosmos
Carajita
Drama von Silvina Schnicer und Ulises Porra Guardiola, Dom/Arg 2021, 89 Min.
Wunderschöne Bilder liefert dieses Drama aus der Dominikanischen Republik, bedrückend sind aber die Klassenunterschiede, die es zeigt: Yarisa (Magnolia Nuñez) ist eine schwarze Frau, die als Nanny für eine weisse Familie arbeitet. Ihre Beziehung zum Teenager-Mädchen Sarah (Cecile van Welie) ist sehr liebevoll. Zu ihrer eigenen Tochter Mallory (Adelanny Padilla) jedoch, die sich im selben Alter befindet, hat Yarisa nur wenig Kontakt.
Als sich die beiden jungen Frauen kennen lernen, freunden sie sich wider Erwarten sofort an, gehen zusammen auf eine Party. Allerdings: Der schöne Abend nimmt ein schlimmes Ende. Der Film hat von Anfang an düstere Untertöne, mit der Wendung entwickelt er sich endgültig zum Thriller. Eine fesselnde Regiearbeit von Silvina Schnicer und Ulises Porra Guardiola; «Carajita» ist ihr zweiter Langfilm nach «Tigre». (ggs)
Ab Fr 29.4. auf Filmingo
My Sunny Maad
Animationsfilm von Michaela Pavlátová, CZ/Slk/F 2021, 80 Min.
In einem simplen Stil gezeichnet, erzählt dieser Animationsfilm von komplexen Themen. Kabul 2011: Die Tschechin Herra hat einen afghanischen Mann geheiratet und ist mit ihm in seine Heimat gezogen. Auch wenn sie Mühe damit hat, wie Frauen dort behandelt werden, kann sie grundsätzlich mit Kopftuch und Burka leben. Schlimmer ist, wie die Bevölkerung zwischen amerikanischem Militär und Taliban-Terroristen aufgerieben wird. (ggs)
Houdini
Paracelsus: Ein Landschaftsessay
Dokumentarfilm von Erich Langjahr, CH 2021, 108 Min.
Theophrastus Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus, war ein Schweizer Arzt im 16. Jahrhundert, der mit damals frischen Ideen für Aufregung sorgte. Medizinische Vorlesungen auf Deutsch statt Latein? Unerhört. Regisseur Erich Langjahr besuchte mit dem Paracelsus-Experten Pirmin Meier die Wirkstätten des einflussreichen Gelehrten, und ihre filmische Reise führt zwischen Einsiedeln und Basel auch nach Zürich. (ggs)
Houdini
Eagle vs. Shark
Komödie von Taika Waititi, Neus 2007, 93 Min.
Der Neuseeländer Taika Waititi ist bekannt als Regisseur von «Hunt for the Wilderpeople», «Thor: Ragnarok» und «Jojo Rabbit». Sein erster Langfilm ist eine schräge Liebeskomödie um eine Fast-Food-Köchin (Loren Horsley) und einen Computerspieleverkäufer (Jemaine Clement). Das Kino Nische zeigt im Mai noch drei weitere Filme aus Neuseeland. (ggs)
So 1.5., 19.30 Uhr, Gaswerk, Winterthur
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