«Die Erde ist unser Raumschiff»
Heute sind Frauen in der Raumfahrt etabliert, aber in der Minderheit. Nicole Stott will das ändern.

«Im ersten Moment ist es ein Schock», sagt Nicole Stott, «wenn mitten in der Nacht der Alarm losgeht.» Denn ein Alarm auf der Internationalen Raumstation (ISS) bedeutet meist Lebensgefahr. Drei Bedrohungen gibt es: Ein Objekt durchschlägt die äussere Hülle der ISS und der Sauerstoff entweicht, ein Feuer bricht aus, oder giftige Gase mischen sich in die Atemluft.
Unzählige Male hätten sie auf der Erde geübt, was geschehen muss, wenn der Katastrophenfall eintritt. «Wenn einen das Notsignal aus dem Schlaf reisst, schnellt der Adrenalinspiegel schon in die Höhe.»
Die heute 56-jährige Amerikanerin arbeitete 27 Jahre bei der Nasa und flog zwei Mal ins All. Vier Monate verbrachte sie im Jahr 2009 auf der ISS. Im Februar 2011 war sie an Bord eines 13-tägigen Spaceshuttle-Fluges. Obwohl sich Stott vor vier Jahren von der Nasa verabschiedet hat, steht die Raumfahrt noch immer im Zentrum ihrer Aktivitäten. Sie engagiert sich als Rednerin und hat zudem die Space for Art Foundation gegründet, um kranken Kindern zu helfen und ihnen das All spielerisch näherzubringen. Am 28. Juni tritt sie am Starmus-Festival in Zürich auf, das im Zeichen des 50. Jahrestags der Mondlandung steht.
Die ISS als Symbol
«Was mich in den Momenten der Bedrohung beeindruckt hat, war unsere Reaktion als Team», sagt Stott. Kurz nach dem Notsignal sei die ganze Crew aus den Schlafkojen geschwebt. Und jedes Mitglied habe genau das getan, was sie auf der Erde x-fach geübt hätten. «Die ISS ist ein wichtiges Symbol», sagt sie, «wir vergessen häufig, dass unsere Situation hier auf der Erde sich nicht gross von der Raumstation unterscheidet.» In ihrem Alltag auf der ISS hätten sie täglich dafür geschuftet, sauberes Wasser und genügend Sauerstoff zu haben, die CO2-Level tief zu halten und aus Sonnenlicht Energie zu gewinnen.
«Auch die Ressourcen auf der Erde sind endlich, wir sollten uns das häufiger bewusst machen. Die Erde ist unser Raumschiff.» Auf der ISS hätte eine dünne Metallhülle sie vor dem tödlichen Vakuum des Alls beschützt. «Unsere Atmosphäre hat die gleiche Rolle, sie steht zwischen uns und dem Tod, also müssen wir sorgsam mit ihr umgehen.»
Grosse Symbolkraft habe für sie auch, wie sie auf der ISS international zusammengearbeitet hätten, sagt Stott. Die Mitglieder der Crew seien aus 15 verschiedenen Ländern gekommen, ein Thema sei das nie gewesen.
Was jedoch sagt Stott jenen Kritikern, die meinen, dass die Milliardenbudgets der Raumfahrt auf der Erde besser eingesetzt wären? «Ich hätte mich niemals in eine Rakete schnallen lassen mit sieben Millionen Pfund Sprengstoff unter mir, hätte ich nicht fest an einen höheren Sinn der Raumfahrt geglaubt.» Ihr Sohn sei beim ersten Start sieben Jahre alt gewesen. Sämtliche Forschungen im All dienten letztendlich den Menschen und ihrem Wohl auf der Erde, ist sie überzeugt.
«Dass ich schon lange bei der Nasa als Wissenschaftlerin gearbeitet hatte, half mir dabei, das Risiko zu kalkulieren.» Gerade die Starts mit dem Spaceshuttle waren gefährlich. Zwei Mal in seiner 30-jährigen Geschichte kam es zu tödlichen Unfällen.
Stott stiess 1988 als Ingenieurin zur US-Raumfahrtbehörde. In den 60er- und 70er-Jahren hatten Frauen bei der Nasa noch keine Chance, ins All zu fliegen. Erst 1978 gab die Nasa bekannt, dass sie für die Astronautenklasse Nr. 8 auch Frauen aufgenommen hatte. 6 der 35 Teilnehmer waren weiblich.
Tod in der Challenger
Eine von ihnen, die Astrophysikerin Sally Ride, reiste 1983 als erste US-Astronautin ins All. Sie absolvierte zwei Missionen mit dem Spaceshuttle Challenger. Ihr folgte als zweite die Ingenieurin Judith Resnik auf dem ersten Flug der Discovery 1984. Resnik starb auf ihrer zweiten Mission, als die Challenger im Januar 1986 beim Start explodierte.
Wie schaffte es Nicole Stott, einen der begehrten Jobs bei der Nasa zu bekommen, wenn so viele Menschen von einem Flug ins All träumen und die Konkurrenz entsprechend hart ist? «Es stimmt, dass man als Frau immer ein bisschen härter arbeiten muss, um zu beweisen, dass man gut ist.» Und manchmal zweifelten die Frauen im Gegensatz zu den männlichen Kandidaten auch selbst zu stark an sich.
Heute setzt sie sich dafür ein, dass mehr Frauen eine Karriere in den Naturwissenschaften anstreben. Als Flugzeugingenieurin sei sie in den 80er-Jahren in ihrem Studiengang die einzige Frau gewesen. Und auch heute noch seien Frauen im Ingenieurwesen stark in der Minderheit. «Vorbilder sind das Allerwichtigste für die Mädchen», sagt Stott, «wir müssen ihnen schon früh zeigen, dass Naturwissenschaften kein Geschlecht haben.» Und sehr wichtig sei es zudem, den eigenen Leidenschaften zu folgen. «Ich habe mich schon als Kind stark fürs Fliegen interessiert.» Ihre Familie lebte in Florida, nicht weit von einem lokalen Flughafen entfernt, wo Vater Stott samt Nachwuchs die Wochenenden verbrachte. «Mein Vater baute und flog kleine Flugzeuge.» Als die Wahl des Studienfaches anstand, habe sie nur eines gewusst: Sie wollte verstehen, wie Flugzeuge fliegen.
Zu wenig Frauenanzüge
Während Frauen in den Anfangszeiten bei der Nasa eine kleine Minderheit waren, hat die Organisation heute Fortschritte gemacht. Etwas mehr als ein Drittel der Astronautenanwärter sind Frauen. Stott: «Frauen leiten im Moment das Mission Control Centre und das Launch Control Centre. Ich hoffe, das Verhältnis der Geschlechter gleicht sich zahlenmässig noch mehr aus.»
Das Arbeitsklima habe sie immer als angenehm empfunden. Trotzdem gab es erst vor einigen Wochen Kritik an der Nasa, weil die Ausrüstung noch immer nur für Männer gemacht ist. Eigentlich hätte im März erstmals ein Weltraumausflug nur mit Astronautinnen stattfinden sollen. Doch das Vorhaben scheiterte, weil es für eine der Frauen keinen passenden Raumanzug gab.
Auch Stott verliess die ISS für einen Ausflug ins All und kennt das Problem. «Die Anzüge sind auf kräftige Männer zugeschnitten.» Früher sei man der Meinung gewesen, es brauche viel Kraft, um den mehr als 100 Kilo schweren Raumanzug zu bewegen. «Doch im All geht das ohne Muskelpakete, ohne Schwerkraft ist der Anzug viel leichter.»
Stott hält noch immer den Rekord für den längsten Unterwasseraufenthalt einer Frau. 18 Tage verbrachte sie als Vorbereitung auf die Missionen im All auf einer Station in 20 Meter Tiefe. «Die Erfahrung war ähnlich wie der Aufenthalt im All, einmal war ich im Innern der Erde und einmal über der Erde.» Beide Reisen hätten sie in ihren Überzeugungen bestärkt: «Wir sagen immer, wir müssten die Erde retten.» Doch das stimme gar nicht. Die Erde werde es auch ohne uns weiter geben. «Wir müssen die Menschheit retten und die Erde in einem Zustand erhalten, der uns das Überleben ermöglicht.»
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