Die erzwungene Reue der Tabakkonzerne
Die US-Zigarettenindustrie muss erstmals öffentlich zugeben, dass sie mit ihren Praktiken Menschen systematisch abhängig macht. Ein Ende der Verführung ist allerdings nicht in Sicht.

Elf Jahre dauerte es, bis sich die Gerichte gegen die drei Grossen der US-Tabakindustrie durchsetzen und sie zu einer in dieser Form einmaligen Aufklärung zwingen konnten. Seit Anfang dieser Woche müssen sich die Tabakfirmen in mehr als 40 Zeitungen und den landesweiten Fernsehketten CBS, ABC und NBC erklären. Was wie ein Bussgang wirkt, ist allerdings auch ein Sieg. Die Industrie verzögerte die Aufklärungskampagne so lange, dass sie nun die am meisten Gefährdeten, die Jungen, nicht direkt ansprechen muss.
Bandenmässiges Vorgehen
«Die Zigarettenhersteller haben bewusst Zigaretten mit so viel Nikotin hergestellt, um eine Abhängigkeit zu schaffen und aufrechtzuerhalten.» Oder: «Jeden Tag sterben mehr Menschen am Rauchen als an Mord, Aids, Suizid, Drogen, Autounfällen und Alkohol zusammen.» Dies sind zwei Beispiele der Kampagne, die seit dem Wochenende ein ganzes Jahr läuft und auf eine Klage des Justizministeriums zurückgeht, die 2006 in einen Schuldspruch wegen bandenmässigen Vorgehens der Branche mündete. Nachdem die Tabakindustrie zuvor zu Wiedergutmachungen von mehr als 200 Milliarden Dollar verurteilt worden war, ging es nun darum, die Konsumenten vor den irreführenden Praktiken der Zigarettenhersteller zu warnen. Das Urteil verlangte eine «wahrheitsgemässe» Stellungnahme zu den gesundheitlichen Risiken des Rauchens, die dadurch verschlimmert wurden, dass Zigaretten bewusst an Jugendliche vermarktet wurden.
So klar das Urteil war, so heftig fiel der Widerstand dagegen aus. Die Hersteller reichten Dutzende von Einsprachen ein und schafften es, das Schuldbekenntnis abzuschwächen. «Das Urteil war darauf angelegt, dem amerikanischen Volk zu zeigen, wie es jahrzehntelang in die Irre geführt wurde, sei es durch Lügen über die Gesundheitsrisiken oder das Passivrauchen», sagt Ruth Malone, Professorin für öffentliche Gesundheit an der Universität von Kalifornien. «Was nun vorliegt, entspricht nicht dem Sinn und Geist des Urteils.»
Ein Vergleich mit den Entwürfen von 2011 zeigt, wie gut es der Branche gelang, die Wahrheit zu verschleiern. «Wir haben dem Kongress unter Eid erklärt, dass Nikotin nicht abhängig macht. Wir haben gesagt, dass Rauchen nicht abhängig macht und es nur Willenskraft braucht, um aufzuhören. Hier ist die Wahrheit: Rauchen macht schwer abhängig. Wir haben Zigaretten so manipuliert, dass sie abhängig machen», lautete der Originaltext. Die Tabakfirmen wandten ein, dass eine solche Offenlegung nur darauf abziele, sie «zu demütigen». Ein solches Bekenntnis sei zudem unnötig geworden, da die Arzneimittelzulassungsstelle inzwischen für die Regulierung der Tabakindustrie zuständig sei. Sogar der Satz «Hier ist die Wahrheit» wurde gestrichen.
Acht Milliarden für Marketing
Marlboro-Herstellerin Altria lässt sich die Kampagne 31 Millionen Dollar kosten, von den zwei anderen Konzernen sind keine Zahlen bekannt. Gleichzeitig steckt die Branche jährlich mehr als 8 Milliarden Dollar ins Marketing, ein grosser Teil in Form von Rabattaktionen. «Wir können uns nicht auf unsere Lorbeeren ausruhen», schreibt deshalb Jim Knox, Direktor des Cancer Action Network. «Die Inserate sind ein grosser Sieg für die öffentliche Gesundheit, doch die Manipulationen von Big Tobacco gehen weiter.»

Vergangenes Jahr bekämpfte die Tabakindustrie mit mehr als 70 Millionen Dollar eine überfällige Tabaksteuer-Erhöhung in Kalifornien. Damit unterlag sich zwar, doch inzwischen finanziert sie ein Referendum in San Francisco, mit dem ein Verkaufsverbot für aromatisierte Zigaretten verhindert werden soll. Mit E-Zigaretten beispielsweise, die wie Kaugummi schmecken, sollen Jungen auf den Geschmack gebracht werden. Auf ähnliche Weise wurden angeblich unschädliche Mentholzigaretten an Afroamerikaner vermarktet, mit dem Resultat, dass überdurchschnittlich viele Schwarze abhängig wurden. Der grösste Erfolg der Verschleppungstaktik aber dürfte sein, dass die Branche keine Aufklärung auf den Social-Media-Plattformen betreiben und damit nicht direkt Jugendliche ansprechen muss.
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