Die EU verliert die Geduld mit der Schweiz
Das klare Bekenntnis des Schweizer Stimmvolks zu Europa ist nicht genug: Brüssel fordert, dass sich der Bundesrat vor dem Sommer hinter das Rahmenabkommen stellt.

Wer nun frischen Goodwill erwartet hat, muss sich enttäuscht sehen. «Wir haben es vor der Abstimmung gesagt und können es jetzt wiederholen», sagte Margaritis Schinas, Chefsprecher von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, auf Anfrage dieser Zeitung: «Wir erwarten, dass der Bundesrat seine Zustimmung zum Rahmenabkommen bestätigt, das zwischen den Unterhändlern der EU und der Schweiz im November abgeschlossen wurde.»
Für die EU-Kommission ist das deutliche Ja zum Waffengesetz und zur Unternehmenssteuerreform vom Sonntag kein Grund, der Schweiz beim Rahmenabkommen jetzt mehr Zeit zu gewähren oder inhaltlich entgegenzukommen. Das Zeitfenster schliesse sich im Sommer, sagte Schinas. Allerdings macht man sich auch in Brüssel keine grossen Hoffnungen mehr auf einen positiven Abschluss.
Kein Spiel auf Zeit
Bundesrat Ignazio Cassis sei offenbar als Befürworter des Rahmenabkommens in der Regierung weitgehend isoliert, zeigt sich ein EU-Diplomat resigniert. Dass der Bundesrat paraphiert oder unterzeichnet, wird ohnehin nicht erwartet.
Die Schweizer Regierung müsse zumindest klarmachen, dass sie hinter dem Abkommen stehe, so EU-Diplomaten. Und sie warnen den Bundesrat davor, mit Blick auf die Wahlen im Herbst oder die Abstimmung über die Kündigungsinitiative im kommenden Jahr auf Zeit zu spielen. Man habe schon sehr lange verhandelt, und in der Schweiz gebe es schliesslich alle paar Monate eine Volksabstimmung.
«Wir sehen nicht, was man noch verhandeln kann.»
Offen zeigt man sich für den Fall, dass der Bundesrat zusätzliche Präzisierungen zum Abkommen verlangt. Das könne relativ schnell noch im Juni erledigt werden. Den Vertragsentwurf neu zu verhandeln oder Teile wie die flankierenden Massnahmen ganz auszunehmen, kommt aber für Brüssel nicht infrage. «Wir sehen nicht, was man noch verhandeln kann», sagte Junckers Chefsprecher. Das Abkommen sei das Ergebnis von «sehr langen, intensiven und sehr konstruktiven» Verhandlungen.
EU-Diplomaten warnen vor einer langsamen Erosion der bilateralen Beziehung, sollte sich der Bundesrat bis zum Sommer nicht hinter das Abkommen stellen. Ohne klare Positionierung werde die Börsenäquivalenz Ende Juni auslaufen. Tatsächlich hat sich die EU-Kommission mit ihrem Ultimatum selber in Zugzwang gebracht. Auch unabhängige Beobachter halten derzeit deshalb eine Verlängerung für eher unwahrscheinlich. Der Entscheid werde auf höchster Ebene in der EU-Kommission getroffen.
Gefährdet wären auch die nächsten Aktualisierungen des Abkommens über technische Handelshemmnisse. Im kommenden Jahr wäre eine Aufdatierung für den Bereich der Medizinaltechnik fällig, die wichtig ist für die Schweizer Exportindustrie. In Mitleidenschaft gezogen werden könnte auch der Schweizer Zugang zum nächsten EU-Forschungsprogramm Horizon Europe, über das Bern und Brüssel in den nächsten Monaten verhandeln müssten.
Ein Happy End ist möglich, aber unwahrscheinlich
Die Juncker-Kommission will Klarheit im Schweiz-Dossier, bevor ihr Mandat Ende Oktober ausläuft. Es sei ein Fehler, zu glauben, nach dem Wechsel an der EU-Spitze werde ein Neuanfang beim Rahmenabkommen unter besseren Vorzeichen möglich, warnen Diplomaten vor falschen Hoffnungen. Für einige Mitgliedsstaaten sei die EU-Kommission im Gegenteil der Schweiz schon zu weit entgegengekommen. Bei einem neuen Anlauf werde die EU etwa darauf pochen, dass das Freihandelsabkommen sofort dem Rahmenabkommen unterstellt und ein Automatismus für die Verlängerung der Kohäsionsgelder verankert werde.
Ein Happy End ist noch möglich, aber eher unwahrscheinlich. Auch weil sich das Klima zwischen Brüssel und Bern in den letzten Monaten nicht gerade verbessert hat. Angefangen mit dem Disput darüber, ob der gesamte Entwurf für das Rahmenabkommen nun ein gemeinsam vereinbarter Text ist oder in Teilen nur ein Vorschlag der EU-Kommission.
Irritiert zeigt man sich in EU-Kreisen auch, dass die Schweiz sich anders als Japan oder Kanada ohne Rücksprache in Brüssel mit London auf einen Post-Brexit-Deal geeinigt habe. Eine Darstellung, die zwar von Schweizer Seite bestritten wird. EU-Kreise sprechen aber von einem «unfreundlichen Akt» der Schweizer.
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