Die Farbenpsychologie des Kartenmalers Andreas Hefti
Die Zentralbibliothek besitzt seit kurzem einen Kartensatz des Kantons Zürich, der Fachleute entzückt und Laien staunen lässt.
Wollte Jost Schmid, der Leiter der Abteilung Karten und Panoramen der Zentralbibliothek, seine jüngste Errungenschaft vollständig präsentieren, müsste er das Foyer der Bibliothek dafür beanspruchen: Die Karte, welche den nördlichen und zentralen Teil des Kantons Zürich im Massstab von 1:10'000 abbildet, würde eine Fläche von dreissig Quadratmetern beanspruchen. Bereits die vier Teilblätter, die er auf dem Tisch ausgelegt hat, sind eindrücklich. Eigentlich eine Sensation, wie der sonst in der Wortwahl zurückhaltende Schmid sagt. Denn nicht nur die bare Grösse ist es, die auch Laien in Erstaunen versetzt. Bei genauem Hinsehen ist zu erkennen, dass es sich um ein Manuskript, also eine handgemalte Karte, handelt.
Der Maler heisst Andreas Hefti, er lebte von 1862 bis 1913, war von Beruf Kartograf und im Rang eines Hauptmanns Mitglied der Offiziersgesellschaft Winterthur und Umgebung. Und er war bis vor kurzem selbst unter Fachleuten völlig unbekannt. Dabei ist sein Hauptwerk aus dem Jahre 1895/96, das gerade vor uns liegt, als ein zentrales Beispiel der international anerkannten sogenannten Schweizer Manier ein Meilenstein in der Geschichte der Kartografie.

«Damals war in der Kartografie eine Zeit des Experimentierens», erzählt Schmid. «Es ging hauptsächlich darum, wie man Karten zeichnet, sodass sich das Relief dem Betrachter intuitiv erschliesst.» Hefti entwickelte in Zusammenarbeit mit seinem Lehrer, dem Zürcher Kartografen Fridolin Becker, eine völlig neue Farbensprache. Und er entschied sich für die virtuelle Beleuchtung von oben links, die bis heute gängig ist.
Karten zum Kriegspielen
Schmid zeigt auf die Darstellung des Uetliberggrats und auf den Kegel der Fallätsche. Dann legt er Siegfried-Karten des entsprechenden Gebietes daneben, die Hefti damals als Vorlagen dienten. Auf den Siegfried-Karten gibt es ausser Höhenlinien und einigen Schraffierungen nichts, was uns hilft, leicht die Topografie abzuschätzen. Auf Heftis Karte springt diese dagegen förmlich ins Auge. Er arbeitete mit abgestuften Grüntönen, braunen Schattierungen, bläulichem Schummer, rötlicher Schraffur. «Es handelt sich um eine ausgeklügelte Farbenpsychologie», sagt Schmid.

Doch woher stammen die Kaffeeringe und Schleifspuren auf dem wertvollen Stück? Die Hefti-Karte wurde einst in Wirtshäusern ausgelegt und intensiv genutzt – um Krieg zu spielen. So ist denn auch «Kriegsspielkarte» der offizielle Begriff für solche Karten. Sie wurden in den Wintermonaten von Offiziersgesellschaften für Trockenübungen benutzt. Sie trafen sich in Wirtshäusern und spielten darauf Manöver durch. Von der Winterthurer Offiziersgesellschaft ist bekannt, dass jeweils zwei Dutzend Wehrmänner zu solchen Kriegsspielen zusammenkamen. Deshalb gab die Offiziersgesellschaft bei Hefti eine Karte in Auftrag, auf der die Topografie des Geländes gut und von weitem sichtbar ist.
Die Zentralbibliothek konnte alle 24 noch existierenden Blätter der Hefti-Karte im März dieses Jahres bei einer Auktion aus dem Besitz des Winterthurer Mathematikers und Orchideenforschers Peter Gölz ersteigern. Dieser hatte den vollends in Vergessenheit geratenen Kartensatz in den 1990er-Jahren vor der Vernichtung gerettet – und die Fachwelt damit in Entzücken versetzt.

Der renommierte Zürcher Kartografiehistoriker Arthur Dürst glaubte damals erst an einen Druckfehler, als er in einem Inserat von der Grösse und dem Entstehungsjahr der Karte las. Jost Schmid ist überglücklich, dass er die Karte für die ZB ersteigern konnte – mit 8500 Franken erst noch zu einem guten Preis, wie er sagt. «So haben wir dieses Meisterwerk für die Öffentlichkeit gesichert.» Es wurde mittlerweile digitalisiert und aufs Netz gestellt. Die Hefti-Karte ist aber nicht das einzige Schmuckstück, das in der Kartenabteilung liegt. International auf Interesse stösst auch der St. Galler Erd- und Himmelsglobus aus dem 16. Jahrhundert, der als Leihgabe der ZB im Landesmuseum steht – eine Kopie davon ist in der Stiftsbibliothek St. Gallen zu sehen.
KGB in Winterthur
Die heutigen Benutzerinnen und Benutzer der Kartenabteilung haben zumeist historische Fragestellungen: Ortshistoriker wollen herausfinden, wie eine Gemeinde gewachsen ist, Städteplaner oder Landschaftsarchitekten beschäftigen sich mit der Besiedlungsgeschichte einer Region. Früher war das anders. Noch in den 1990er-Jahren schickte die Swissair Leute zum Kartenstudium in die ZB, etwa um die Anflugrouten in Algerien festzulegen. Schmid erzählt auch, dass die Kartensammlung während des Zweiten Weltkriegs aus militärischen Überlegungen für das Publikum geschlossen war, ja dass auch heute noch manche Kartensätze nur auf verschlungenen Wegen zu erstehen sind, weil die Länder sie unter Verschluss halten. «Wir können uns aber auf Lieferanten stützen, die schwierig zu beschaffendes Kartenmaterial vermitteln können.»
Geradezu mulmig wird einem beim Betrachten von Karten der verschiedenen Schweizer Städte, welche die ZB nach dem Ende des Kalten Krieges aus dem Bestand des sowjetischen Geheimdiensts KGB anschaffen konnte: Darauf werden die Brücken mit Tragkraft, Höhe und Breite vermerkt, um anzugeben, ob diese panzergängig sind. Auch den Wasserreservoirs galt grosse Aufmerksamkeit. Von besonderem Interesse für den KGB schien dabei das industrielle Winterthur gewesen zu sein, sind doch dort die Angaben besonders minutiös.
Ungarn auf 1166 Blättern
Noch immer kommen zuweilen Globetrotter vorbei, um Karten aus abgelegenen Gebieten einzusehen, welche online nicht zur Verfügung stehen. Denn die ZB ist bestrebt, möglichst vollständiges aktuelles Kartenmaterial für Europa und Übersee zu besitzen. Eben erst hat sie einen aus 1166 Blättern bestehenden Kartensatz für Ungarn angeschafft, auch Kasachstan ist vollständig vertreten und der Iran – die Karte umfasst rund 7000 Blätter. Zeitlich reicht der Bestand bis in die frühe Neuzeit zurück, systematisch gesammelt wird seit dem 19. Jahrhundert. Von der Schweiz gibt es auch thematische Karten, Wander- oder Skitourenkarten etwa. Insgesamt dürfte der Kartenbestand bei etwas über 310'000 Blättern liegen, gut 1000 sind wie die Hefti-Karte Manuskripte.

Auf einem Tablar entdecken wir eine weitere Neuanschaffung der Spezialabteilung. Die Karte ist von der Darstellung her weit von Heftis Farbenpsychologie entfernt, dafür regt sie zum Philosophieren an: Sie zeigt ein Land, in dem schon jeder und doch noch keiner war. Seine Hauptstadt ist «Ehrfurcht», eine Insel trägt den Namen «Annulliert», der Leuchtturm scheint ins «Jenseits». Das Land heisst «Anderswo».
Die Hefti-Karte ist hochaufgelöst abrufbar unter www.e-manuscripta.ch
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