Die Frauen schlagen zurück
Aus den Frauenmärschen nach Trumps Wahlsieg hat sich eine politische Bewegung geformt. Tausende Kandidatinnen bereiten sich nun auf die amerikanischen Zwischenwahlen vor.
Tausende Frauen bereiten sich derzeit auf die nächsten grossen Wahlen in den USA vor, in rund einem Jahr. Ein grosser Teil davon sind Politneulinge, angespornt von der Schockwelle, die am 9. November 2016 durchs Land ging, als Donald Trump zum 45. Präsidenten gewählt wurde und Hillary Clinton statt als erste Präsidentin als grosse Verliererin in die Geschichtsbücher einging. Die Frauen gingen aus Protest gegen den sexistischen Präsidenten auf die Strasse, mit pinken Mützen, mit Plakaten, mit viel Wut im Bauch. Das war im Januar.
Seither ist die Bewegung aber nicht eingeschlafen, sie hat sich nur von der Strasse in Richtung Wahlbüros verlegt. Knapp ein Jahr vor den nächsten Wahlen verzeichnet «Emily's List» einen massiven Zulauf. Zu diesem Zeitpunkt im Wahlzyklus hatte das Aktionskomitee, welches Frauen im Wahlkampf finanziell und organisatorisch unterstützt, bisher rund 1000 Kandidatinnen registriert, die sich für öffentliche Ämter interessieren. Nun sind es bereits über 20'500, Tendenz steigend.
«Frauen haben momentan das Recht, stinksauer zu sein»
Soeben ging in Detroit eine dreitägige Tagung zu Ende, die aus dem Frauenmarsch entstand. «Emily's List» veranstaltet zudem in 20 verschiedenen Städten Seminare, vierstündige Coachings. Dort werden auch politisch mässig interessierte Zuhörerinnen innert Kürze zu motivierten und ambitionierten Kandidatinnen. Die Seminare sind jeweils ausgebucht, die Wartelisten rappelvoll, erzählt «Emily's List»-Präsidentin Stephanie Schriock. Nach dem Training bewerben sich die Frauen um Ämter in ihren Dörfern, Städten und Staaten. «Emily's List» zählt auch derzeit gewählte Politikerinnen auf nationaler Ebene zu seinen Mitgliedern. Es sind alles Demokratinnen.
Von der Tagung in Detroit und den Seminaren im ganzen Land reisen die künftigen Kandidatinnen mit vollen Notizbüchern und To-do-Listen ab. «Tätige zehn Anrufe an potenzielle Wähler» steht auf den Listen oder «Eröffne ein Bankkonto für deine Wahlkampagne». Die Politneulinge erhalten so die nötige Grundausbildung, das Rüstzeug für ihre Kandidatur. Und sie sind hoch motiviert, wegen Trump, aber auch «dank» Trump: «Diese Wahl hat mir gezeigt, dass jeder für ein Amt gewählt werden kann, sprichwörtlich jeder», sagt beispielsweise die 36-jährige Shireen Ghorbani gegenüber «Time». Sie tritt in Utah um einen Sitz im Repräsentantenhaus an, vergleichbar mit dem Nationalrat in der Schweiz. «Frauen haben momentan das Recht, stinksauer zu sein», sagt sie.
Bilder: Auch in Zürich gab es im März einen Frauenmarsch
Textnachrichten und Excel
Auf der Strasse zu protestieren, genüge da nicht mehr, erklärt Linda Sarsour, eine der Führerinnen der Frauenmarsch-Bewegung. «Wir müssen 2018 gewinnen.» Dafür gaben die Profis in Detroit neben To-do-Listen auch Tipps zu Tools für den Wahlkampf, wie viel Geld die Frauen sammeln müssen, um eine Chance zu haben, was bei den Wählern gut ankommt und was nicht. So sind direkte Textnachrichten heute wichtiger als Telefonanrufe, weil viele Leute gar keinen Festnetzanschluss mehr haben. Die sozialen Medien sollen benutzt werden, aber nur für Kommentare zu politischen Themen, nicht um allen einen schönen Weltkatzentag zu wünschen. Und: Die Kandidatinnen sollen dringend Excel beherrschen lernen, um Listen der potenziellen Wähler zu verwalten und zu filtern.
Zum besseren Verständnis: In vielen Staaten sind Wählerlisten der Öffentlichkeit zugänglich, beispielsweise in Utah gegen eine Gebühr von 1050 Dollar. Zwar ein happiger Preis, dafür erhalten Kandidierende aber Zugriff auf Namen, Telefonnummern, Adressen, Wahlverhalten in der Vergangenheit, Parteizugehörigkeit und die Angabe, ob die Person überhaupt wählt oder nicht.
Das ermöglicht dann auch die Hausbesuche, das Händeschütteln im Vorgarten, die Gespräche mit potenziellen Wählern, die für Frauen besonders wichtig sind, weil Zeit wichtiger sei als Geld, so die Experten an der Tagung in Detroit. Neben diesem Klinkenputzen sollten die Frauen auch ihre Vergangenheit im Griff haben, sprich die Steuern bezahlt und nichts auf dem Kerbholz haben, um den Gegnern keine Angriffsfläche zu bieten. Und die Frauen werden auch darauf vorbereitet, wie sie ihre Familie vor der fast unausweichlichen Schlammschlacht des Wahlkampfes schützen können.
Frauenanteil im Parlament ist steigend
Im Parlament in Washington ist die Frauenquote tief. Von den 100 Senatoren sind gerade mal 21 weiblich. Davon gehören 16 zur Demokratischen Partei. In das Repräsentantenhaus sind 83 Politikerinnen gewählt worden. Jeder Frau stehen dort vier Männer gegenüber. Auch hier stammen drei Viertel der weiblichen Abgeordneten von den Demokraten. Die gute Nachricht trotz dieser tiefen Quoten: Der Trend zeigt nach oben, noch nie gab es mehr Frauen im nationalen Parlament. Zum Vergleich: Die grosse Kammer der Schweiz ist etwas weiter, der Frauenanteil im Nationalrat beträgt 32,5 Prozent, Tendenz steigend. Im kleineren Ständerat sind es derzeit jedoch nur 15,2 Prozent, ein deutlicher Abfall gegenüber einst knapp 25 Prozent im Jahr 2004.
Video: Mehr Gleichberechtigung
«Emily's List» will möglichst viele Demokratinnen in öffentlichen Ämtern installieren, andere Parteien sind deshalb bewusst nicht zu finden, erklärt Präsidentin Schriock. Mit allen Tipps und To-do-Listen werden die Kandidatinnen aber nicht alleine gelassen, sagt Schriock. Die Organisation hilft den Frauen, ein passendes Amt zu finden, für das sie in der Wahl eine Chance haben. Sie analysieren Wahlkreise, Gegenkandidaten und investieren dort, wo es sich lohnt.
Unter den 20'500 Namen auf «Emily's List» wird es deshalb nicht ebenso viele Kandidatinnen haben, die ab nächstem März in Vor- und Hauptwahlen antreten, sondern auch viele Versprechen für eine frauenfreundlichere Zukunft, wie Schriock hofft.
Video: «Emily's List»
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