Die Geburt eines Genies
Auf seinem ersten posthum erschienenen Album «Piano & a Microphone 1983» beweist der verschnupfte Prince noch einmal, was für ein aussergewöhnlicher Musiker er war.

«Piano & a Microphone 1983» dokumentiert eine 35-minütige Probesession. Prince Rogers Nelson, damals 25, liess sie im September 1983 in seinem Heimstudio aufnehmen. Er macht sich hier ohne Kostüm, Video und auch ohne seine Band The Revolution bereit für den Weltruhm, der sich ein Jahr später mit seinem Film und Album «Purple Rain» einstellen sollte.
Auf dem Album ist nichts zu hören ausser Klavier, seiner Stimme und dem Rauschen des Studios – damals noch das Kiowa Trail Home Studio und noch nicht die Paisley Park Studios. Prince schnauft, croont, kiekst, röchelt und rauscht mit seiner wandelbaren Stimme ins zärtlichste Falsett hinauf und, an der krächzenden Mitte vorbei, wieder in den wärmsten Soulbariton runter.
Der Zeit enthoben
Die Tasten beklimpert und behämmert er mit Blues und Jazz, und weil weder Schlagzeug noch Drumcomputer dabei sind, tritt er den Rhythmus mit dem Fuss selbst oder klopft ihn mit der Hand. Das Hockerchen, auf dem er sich hin und her wirft, quietscht ins Mikro. Wäre sogar dieses Quietschen rhythmisch synchron, wäre Prince kein Mensch mehr gewesen, sondern Gott – und nicht nur ein Genie. So quietscht es etwas unrhythmisch, aber man kriegt das im Ohr schon auseinander.
Es ist sehr wichtig, dass Prince hier «nackt» zu hören ist – denn die Alben, die er selbst noch herausbrachte, legten den Schluss nahe, dass er gegen Ende seines Schaffens eher hilflos Anschluss an einen zeitgenössischen Popsound suchte. Nun also wieder bloss Klavier und Stimme: Zeitloser oder vielmehr der Zeit enthobener geht es nicht. Nach diesem Prinzip trat Prince auch auf seiner letzten Tour auf, die ebenfalls «Piano & a Microphone» hiess.
Auf dem Mitschnitt von 1983 singt er neun Songs, die nahtlos ineinander übergehen. «Purple Rain» ist eine Skizze von 1 Minute und 27 Sekunden. Die erste Strophe ist schon da, der Refrain wohl noch in Entwicklung, aber man hört Genies sogar beim Trial and Error gerne zu, weil die Fehler gar nicht nach Fehlern klingen.
«Mary Don't You Weep» ist ein Spiritual aus der Zeit vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Die Intimität ist fast unerträglich. Sie wird dadurch gesteigert, dass an manchen Stellen die Materialität des Bandes, das diesen wertvollen Prince im Archiv 35 Jahre lang gespeichert hat, in den Vordergrund tritt.
Patina tut dem Album gut
Man hätte dies mit den neusten digitalen Studiotricks bestimmt herausfiltern können. Zum Glück wurde es nicht versucht. Es gehört dahin, weil die Materialität des Bandes Prince etwas von der Körperlichkeit zurückgibt, die er nicht mehr hat. Es klingt nun so, als sei vom Koks etwas heruntergerieselt und habe das Band verätzt.
Koks? Zumindest schnieft Prince in der Aufnahme auffällig oft. Vielleicht war er auch bloss erkältet. In «Cold Coffee & Cocaine» singt er darüber, dass Kaffee und Kokain alles sei, was eine bestimmte Frau ihm anbiete, und dass er das aber gar nicht wolle, sondern lieber mal ein richtiges Frühstück. Er klingt hier noch aufgestachelter als der aufgestachelte Prince.
Informierte Fans im Netz sind sicher, dass dies die «Jamie Starr»-Stimme von Prince ist, mit der er Morris Day, den Sänger der Band The Time, imitierte. Und die Frau, die in der Ballade «Wednesday» singt, ist wohl auch keine Frau, sondern Prince selbst, der nur klingen wollte wie seine Backgroundsängerin Jill Jones.
So gesehen könnte man sagen: Am 21. April 2016 ist nicht nur ein Prince gestorben, sondern mehrere. Das Anhören von «Piano & a Microphone 1983» kann das zu einer umso traurigeren Erfahrung machen. Aber dass dieses Album ein irre gutes ist, steht ausser Frage.
Prince: Piano & a Microphone 1983 (Warner)
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