Best of Mamablog: Interview zum Scheidungsurteil«Die Gerichte sollten Väter in die Pflicht nehmen»
Familienrechtsanwältin Dana Matanovic ordnet ein, inwieweit die neue Rechtssprechung bei Scheidungen tatsächlich gerechter und vor allem gleichberechtigter ist.
Unsere Mamabloggerinnen und Papablogger haben Sommerferien. Daher publizieren wir diese Woche Beiträge, die besonders viel zu reden gaben. Dieser Beitrag erschien erstmals am 2. Mai 2022.

Das Bundesgericht passt seine Rechtsprechung bei Scheidungen dem Bedürfnis nach Gleichberechtigung an, so die Argumentation auch letzte Woche. Doch ist das wirklich gerechter? Das wollten wir von Dana Matanovic, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht wissen.
Meint man das nur, oder werden Frauen immer mehr in die Pflicht genommen?
Dem ist definitiv so. Während man sich vor zwei Jahren noch die Frage stellte, ob angesichts der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen die Rechtsprechung im Familienrecht noch zeitgemäss ist, schlägt das Pendel nun völlig in die andere Richtung. Zusammenfassend basiert diese nun auf einem sehr modernen, paritätischen Familienmodell, das aber so statistisch gesehen in der Schweiz immer noch die Ausnahme bildet.
Was ist das grösste Problem damit?
Grundsätzlich ist die Stossrichtung nicht falsch. Das Problem ist jedoch, dass Familien, die es nun trifft, ihre Rollenverteilung vor zehn oder noch mehr Jahren mit anderen Voraussetzungen vereinbart haben. Einerseits war damals die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch schwieriger als heute und auch gesellschaftlich weniger anerkannt. Und andererseits heiratete man damals ja, um abgesichert zu sein. Für diese Frauen ändern sich nun die Spielregeln mitten im Spiel und sie stehen mit 45, 50 Jahren vor einem Problem, mit dem sie so nicht rechnen konnten. Das zweite Problem ist, dass die Erwerbstätigkeit von beiden verlangt wird, die Gerichte bei der Betreuung jedoch zurückhaltender sind.
«Die Betreuung der Väter bleibt ein Recht auf freiwilliger Basis.»
Wie meinen Sie das? Wird die nicht ebenfalls «gleichberechtigter» verteilt?
Jein. Auch hier gibt es eine Tendenz dazu, dass die Väter mehr Betreuungsarbeit leisten, aber dies geschieht in Minischritten auf sehr tiefem Niveau. Grundsätzlich kann man sagen, dass heute Väter, die eine alternierende Obhut wollen und mehr als ein Wochenendpapi sein möchten, bessere Chancen haben, dies auch zu erhalten, was sehr positiv zu werten ist. Eine Selbstverständlichkeit ist es jedoch auch heute nicht. Den grossen Anteil machen unverändert diejenigen Väter aus, die eine solche Mitbetreuung nicht beantragen. Diese werden nicht in die Pflicht genommen. Die Betreuung der Väter bleibt ein Recht auf freiwilliger Basis. Dies gilt während des Zusammenlebens wie auch danach.
Richter sagen, Vätern könne man keine Betreuung zumuten, wenn sie diese nicht möchten. Gilt das auch für Mütter?
Die oberste Maxime des Familienrechts ist das Kindeswohl. Nun besteht aber die Überzeugung, dass dieses nicht gewahrt ist, wenn ein Vater zur Betreuung gezwungen wird. Das halte ich für eine sehr merkwürdige These. Warum sollte ein Vater, bei dem die Kinder an einem Wochenende oder während zwei Wochen Ferien bestens aufgehoben sind, bei der Betreuung an einem Dienstag dem Kindeswohl schaden, nur weil er sich vielleicht den Papitag nicht unbedingt gewünscht hat? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Die meisten Väter lieben ihre Kinder und wären absolut in der Lage, diese zu betreuen.
«Nun sinken die Alimente für die Mütter auf das Existenzminimum und werden nur für eine kurze Zeit geleistet.»
Bei einer Mutter wird eine solche Frage nie gestellt, da ist klar, dass sie übernimmt. Die meisten Mütter beantragen aber auch nicht, die Obhut sei dem Vater zuzusprechen. Wie sieht die Realität aus in Sachen Betreuung und Alimente?
Die bisherige Realität sah so aus, dass die Mütter weiterhin die Kinder betreuten, während die Väter Alimente bezahlten, für Kinder und Mütter. Nun sinken die Alimente für die Mütter auf das Existenzminimum und werden nur für eine kurze Zeit geleistet. Diese Änderung geschieht sehr schnell, denn die neue Rechtsprechung gilt ab sofort, während bei der Angleichung der Betreuung ein Schneckentempo an den Tag gelegt wird.
Was müsste sich ändern, damit es fairer wird?
Wenn eine paritätische Rollenverteilung gefordert wird, dann müssten die Gerichte mutiger sein, auch dann den Vater in die Pflicht zu nehmen, einen Teil der Betreuung zu übernehmen, und damit auch die Mutter, ihm diese zu überlassen, wenn er es nicht explizit fordert. Die Kompetenz dazu hätten sie. Dann wäre es nämlich für die Mütter einfacher, den Erwartungen nachzukommen, die die gleichen Gerichte an sie stellen. Erst wenn beides geschieht, kann das vom Bundesgericht gezeichnete Modell wirklich Realität werden.
Kann das Gericht die Politik beeinflussen?
Die Politik, das Recht und die Gesellschaft sind drei Pfeiler, die sich gegenseitig beeinflussen. Daher kann das Gericht durchaus etwas bewegen, in erster Linie in der Gesellschaft, die dann die Forderungen an die Politik stellt. Wenn es ein Risiko darstellt, Hausfrau zu sein, werden sich weniger Frauen dazu entscheiden und dann auch Forderungen stellen, wie mehr Kita-Plätze, Anpassung der Schulzeiten oder eine angemessene Elternzeit. Aber dabei sollte die Gewaltentrennung nicht ausser Acht gelassen werden. Das Gericht ist dazu da, ein Recht umzusetzen und es zu interpretieren, nicht den Gesetzgeber zu ersetzen.
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