«Die heutige Jugend macht mir einen sehr guten Eindruck»
Peter Ragaz war während zehn Jahren Jugendanwalt im Bezirk Meilen. Nach seinen Erfahrungen enden Lausbubenstreiche heute öfter vor dem Jugendanwalt, weil rascher Anzeige erstattet wird.
Mit Peter Ragaz sprach Patrick Gut Tatsächlich, ich reise sehr gerne, besuche die Oper und das Kino. Nicht auf Anhieb. Überhaupt nicht. Der Bezirk Meilen ist so arbeitsintensiv wie die anderen Bezirke auch. Die Unterschiede haben dann mehr mit der Klientel zu tun. Die Eltern engagieren hier zum Beispiel rasch einmal einen Anwalt. Nein. Es ist allerdings aufwendiger, einen Termin zu finden, wenn eine zusätzliche Partei involviert ist. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Jugend heute schlechter wäre als früher. Im Gegenteil. Sie macht mir einen sehr guten Eindruck. Bei den schweren Straftaten gab es seit ein paar Jahren einen Zuwachs. Diese Delikte haben Aufsehen erregt. Heute ist ihre Zahl aber wieder rückläufig. Diesen Eindruck habe ich. Man muss sich in sie einfühlen können. Ich will herausfinden, weshalb sie ein Delikt begangen haben. Da hilft es, wenn wir uns in die Jugendlichen einfühlen können. Das wiederum funktioniert besser, wenn man sie mag. Meistens sind sie alles andere als begeistert, wenn sie eine Vorladung von der Jugendanwaltschaft erhalten. Vielfach kann ich die Eltern beruhigen. Für sie ist es oft hilfreich, wenn wir die Ursache für eine Straftat herausfinden. Es heisst, dass fast jeder Mensch in seinem Leben einmal irgendetwas Kleines stiehlt. Er probiert es aus und lässt es dann bleiben. Ansonsten glaube ich es jedoch nicht. Lausbubenstreiche gehören zur Entwicklung dazu. Heute endet der Lausbubenstreich häufiger vor dem Jugendanwalt. Es wird relativ rasch Anzeige erstattet. Was etwa einst als Schubser galt, kommt heute manchmal als Tätlichkeit zur Anzeige. Häufig hat es mit der Familie zu tun. Manchmal sind die materiellen Bedingungen nicht gut. Deshalb stellen wir etwa eine erhöhte Ausländerkriminalität fest. Das kommt immer wieder vor. Es heisst dann, die Jugendlichen hätten aus Langeweile gehandelt. Sie sind oft auch orientierungslos. Die Rolle der Eltern ist sehr wichtig. Bemüht sich das Elternhaus um die Jugendlichen, kommt es weniger zu Delikten. Unser Jugendstrafrecht soll erzieherisch wirken. Bei vielen Delikten müssen die Jugendlichen als Strafe einen persönlichen Einsatz leisten, beispielsweise indem sie in einer Küche im Altersheim mithelfen. Das ist keine Schikane. Vielmehr sollen die Jugendlichen daran erinnert werden, dass sie mit ihrem Delikt nichts Positives getan haben. Wir erhöhen die Strafe oder verhängen auch ambulante oder stationäre Massnahmen. Das geht so weit, dass sie in einem Erziehungsheim untergebracht werden. Das Jugendstrafgesetz gibt den Rahmen vor. Natürlich bekommen wir häufig zu hören, eine Strafe sei zu niedrig. Bei schweren Gewaltdelikten sprechen wir aber inzwischen wesentlich härtere Strafen aus. Ich glaube, ein Gefängnisaufenthalt ist wohl nie einfach gut. Manchmal ist er aber nötig. Etwa aus Gründen der öffentlichen Sicherheit. Wenn Eltern und Jugendliche mein Büro verlassen haben, konnten sie die Lösung fast immer akzeptieren, die ich gefunden hatte. Das macht mich stolz. Ausserdem konnte ich die Verfahrensdauer immer kurz halten. Das ist für alle Beteiligten wichtig. Nicht nur für die Täter und ihre Eltern, sondern auch für die Opfer einer Gewalttat. Ich war bereits 48, als ich Jugendanwalt wurde. Ich habe versucht, dass mich die Fälle nicht verändern. Es braucht eine dicke Haut. Nicht unbedingt. Es ist wichtig, sich in Täter und Opfer einfühlen zu können. So kommt man zu einem ausgewogenen Urteil. Eine dicke Haut braucht es, weil man nicht subjektiv werden darf, auch wenn es um ein schweres Delikt geht. Da muss man nüchtern bleiben. Peter Ragaz ist promovierter Jurist und hat nach zehn Jahren als Jugendanwalt für den Bezirk Meilen sein Amt Ende 2011 abgegeben. Ragaz wohnt in Zürich und ist Vater einer erwachsenen Tochter. Als Jugendanwalt hat er Straftaten von Minderjährigen – zum Tatzeitpunkt 10- bis 18-Jährige – untersucht und beurteilt. Pro Jahr hat Ragaz rund 350 Fälle bearbeitet. Es sind mehrheitlich Sachbeschädigungen, Diebstähle, Betäubungsmitteldelikte und Verstösse gegen das Strassenverkehrsgesetz. Beim Rest handelt es sich um schwerere Delikte wie Raub, einfache oder schwere Körperverletzung, Delikte gegen die sexuelle Integrität und anderes mehr. Der Jugendanwalt kann Strafen aussprechen, wobei ein Verweis die mildeste Form der Strafe ist. Häufig werden Arbeitseinsätze von in der Regel einigen Tagen Dauer angeordnet. Möglich sind bei den über 15-Jährigen auch Bussen oder Freiheitsstrafen. Neben dem Mittel der Strafen kennt das Jugendstrafrecht ambulante oder stationäre Massnahmen. Das kann ein Kurs zur Gewaltprävention sein oder aber ein jahrelanger stationärer Aufenthalt in einem Erziehungsheim. (pag) «In meinem Beruf muss man Jugendliche mögen», sagt Peter Ragaz. Foto: Reto Schneider
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