Die Ironie von Trumps Erfolg in Syrien
Nach dem Tod des IS-Anführers feiert der US-Präsident seine Strategie. Es war ein Sieg trotz Trump, widersprechen Experten.

Mit martialischen Worten verkündete US-Präsident Donald Trump am Sonntag das Ende von IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi. Die Welt schaute nach Washington, wo es für einmal statt Chaos und Impeachment-Streit einen Erfolg zu feiern gab, von dem praktisch alle profitieren. Es war Trumps glorreicher Moment und er feierte den Schlag gegen den IS auch als Sieg seiner Strategie.
Das Vorgehen im Konfliktgebiet Syrien hatte dem US-Präsidenten in den letzten Wochen viel Kritik eingebracht, nicht nur von der Opposition, sondern vor allem von seinen engsten Vertrauten und von seinen treusten Unterstützern im Senat: Trump liess die verbündeten Kurden im Stich und schwächte die Position der USA in der Region.
Alles bestens, sagt Trump nun. Für den US-Präsidenten war der erfolgreiche Einsatz gegen Baghdadi ein gelungenes Beispiel dafür, wie er sich die Jagd nach Terroristen vorstellt: Andere Mächte sichern die Region und US-Truppen machen gezielte Vorstösse, um die Schurken zur Strecke zu bringen. Zumindest letzten Samstag ging das auf und die Reihen hinter ihm schlossen sich wieder.
Senator Lindsey Graham, der den Abzug der US-Truppen am schärfsten kritisiert hatte, gab sich gegenüber «The Atlantic» geläutert. Er verstehe nun, was der Präsident im Sinn habe. Er wolle die Kosten senken, den eigenen Fussabdruck schmälern – und das sei richtig so.
Andere sollen also den IS bekämpfen und den erneuten Aufstieg des Kalifats verhindern. Andere sollen die Drecksarbeit machen, das Leben ihrer Truppen aufs Spiel setzen. Die USA beobachten aus der Ferne und greifen wo nötig ein, so die Idee.
In Zukunft nicht mehr möglich
US-Experten halten dies aber für eine schlechte Strategie: Der Erfolg am Samstag war demnach kein Resultat von Trumps Entscheidungen der letzten Wochen, im Gegenteil, diese hätten den Sondereinsatz erschwert, wie hochrangige Militär- und Geheimdienstvertreter der «New York Times» und der «Washington Post» sagten. Es war ein Sieg trotz Trump, das Ergebnis einer monatelangen Suche und ein Glücksfall, dass es trotz des Truppenrückzugs gerade noch mit dem Zugriff geklappt hat.

US-Diplomat Richard Haass sieht die Spezialmission gegen Baghdadi gar als Ironie von Trumps Plan. Ohne US-Truppen in Syrien, ohne Informationen der Nachrichtendienste und ohne die Hilfe der syrischen Kurden wäre der Einsatz nicht möglich gewesen, wie er der «New York Times» sagte.
Zukünftig dürften solche gezielten Schläge deshalb nicht mehr möglich sein. Denn dafür brauche es Militärpräsenz, Verbündete und Nachrichtendienste. An all diesen Pfeilern sägt Trump gewaltig. Seine Truppen will der US-Präsident nach Hause holen. Die Verbündeten hat er damit massiv vor den Kopf gestossen, und auch von seinen Geheimdiensten hält Trump normalerweise nicht viel.
Keine vertrauenswürdige Schutzmacht
Auch ehemalige CIA-Agenten warnen in der «Washington Post» vor Trumps Plan: Es dauere Monate, wenn nicht Jahre, um ein Netzwerk aufzubauen, das solche Zugriffe auf Terroristen ermögliche. Für eine erfolgreiche Mission brauche es Hinweise von Agenten und von Verbündeten, es brauche aber auch Zeit, analytische Arbeit und Geduld. Mit einem Rückzug aus den kritischen Gebieten werde man diese Vorteile verlieren. Der Erfolg gegen Baghdadi sei grossartig, aber auch ein klares Zeichen dafür, die Truppenpräsenz eben nicht abzubauen, solange der IS eine Gefahr bleibe.
Aufgehen würde Trumps Strategie nur, wenn es in der Region eine vertrauenswürdige Schutzmacht gäbe. Für die Experten ist das nicht der Fall, die Türkei habe nur Interesse daran, die Kurden in Nordsyrien durch syrische Flüchtlinge zu ersetzen. Syrien habe sich bisher als unfähig erwiesen, den IS wirksam zu bekämpfen und trage wesentlich zur Not der Bevölkerung bei, auf deren Grundlage sich Radikalismus ausbreiten könne. Und Russland sei kein Verbündeter der USA und werde es nie werden, wie Verteidigungs- und Terrorismusfachmann William Wechsler sagt.

Noch haben die USA aber eine Truppenpräsenz im Bürgerkriegsland: Zum Schutz der syrischen Ölfelder hat Trump doch wieder Panzerverbände nach Nordsyrien beordert. Das zeigt, worum es der US-Regierung geht, kritisiert die «New York Times»: Aufsehenerregende Einsätze gegen die Terroristen, aus der sicheren Ferne geplant, sowie die Sicherung der Ressourcen, die man möglichst auch selbst nutzen will. Die einstige Mission, anderen Ländern beim Aufbau von Demokratie zu helfen, gehe damit verloren, die USA sähen aus wie eine Macht, die andere Länder nur ausnutzen will.
Immerhin: Die Ölfelder zu schützen, ist auch aus nichtamerikanischer Sicht richtig. Das Öl sei eine wichtige Einnahmequelle für Terroristen und könne die Auferstehung des IS beschleunigen.
Zu viel verraten
Zweifel gibt es nicht nur daran, ob solche Missionen wie diejenige gegen Baghdadi künftig noch möglich sein werden, sondern auch daran, wie der Einsatz am Samstag wirklich ablief. Trump schilderte, wie er die Jagd nach Abu Bakr al-Baghdadi live verfolgt habe.
Wie ein Film sei das gewesen. Mittlerweile ist klar, dass in Washington nur Drohnenaufnahmen ohne Ton verfügbar waren, die Details des martialisch beschriebenen Selbstmords des IS-Anführers müssen dem US-Präsidenten von Dritten vor Ort überliefert worden sein.

Die acht Hubschrauber nach Idlib starteten nach Angaben des US-Präsidenten vom Irak aus, auf dem Weg wurden sie beschossen, am Zielort gab es Gefechte, die Einsatzkräfte sprengten Türen und jagten den IS-Anführer mit Spürhunden. Trump gab an der Medienkonferenz viele Details des Einsatzes bekannt, zu viele, wie Michael Leiter sagt, der 2011 während der Bin-Laden-Mission die US-Anti-Terror-Einheit leitete. Die Angaben über Anzahl Helikopter, wie diese einflogen, was die US-Truppen über die Lage vor Ort wussten, das werde normalerweise nicht preisgegeben, da es dem Gegner in künftigen Missionen helfen könne, kritisiert Leiter.
Trump dankt Russland
Neben der Schilderung des Einsatzes hatte Trump am Sonntag auch viel Lob für Freund und Feind bereit. Der US-Präsident lobte seine Soldaten und die Militärhunde, die IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi in den Tod gejagt hatten, aber er dankte auch den ausländischen Mächten in Syrien, die den USA den Weg freigemacht haben sollen. Trump lobte Russland, er lobte die Türkei und den Irak, weil sie die acht Helikopter des US-Militärs passieren liessen, obwohl die USA die Mission geheim hielt.
Dass ein US-Präsident Russland dermassen dankt, habe es wohl noch nie gegeben, schrieb «The Atlantic».
Gleichzeitig teilte Trump gegen die EU aus, die in Syrien eine grosse Enttäuschung und überhaupt keine Hilfe sei. Die IS-Terroristen könnten jederzeit nach Europa reisen, aber nicht in die USA. Und trotzdem hätten nun US-Truppen die Bedrohung beseitigt.
Am Rande dankte Trump auch den Kurden, die auch ein paar Informationen geliefert hätten. Der kurdische General stellte die Hilfe hingegen als fünfmonatige gemeinsame Mission dar, man habe den USA viele Hinweise geliefert. Und hätte dafür auch mehr Lob verdient, liessen die Kurden damit durchblicken.
Zu viel verraten
Etwas weniger Lob wäre hingegen Russland recht gewesen. Es glaubt den US-Angaben zum Tod von Abu Bakr al-Baghdadi sowieso nicht. Der Anführer der Terrormiliz IS sei schon mehrfach für tot erklärt worden, hiess es in einer Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums.
Für Moskau liegen «keine verlässlichen Informationen» vor, es gebe stattdessen widersprüchliche Angaben, was «Zweifel ... am Erfolg der amerikanischen Operation» schüre.

Die USA sind sich aber sicher, wie in den Berichten über den rund zweistündigen Einsatz rapportiert wird. Spezialisten führten DNA-Proben des IS-Anführers mit, die nach dessen Selbstmord mit den Überresten verglichen wurden. So habe man bestätigen können, dass es sich um Abu Bakr al-Baghdadi handelte. Zudem brachten die Einsatzkräfte auch Überreste des Terrorchefs von der Mission zurück.
Trump wird sich seiner Sache sicher sein. Im Impeachment-Strudel kommt dieser Schlag gegen den IS zur rechten Zeit, den Erfolg wird er in seinem Wahlkampf verwenden. So wie das auch Barack Obama 2011 nach der Tötung von Osama Bin Laden tat. In den Umfragen erhielt der Demokrat damals nur kurzfristig einen positiven Schub, seine Popularität sank danach wieder. Doch die Wiederwahl hat Obama ein Jahr später bekanntlich problemlos geschafft – für einmal dürfte der Vorgänger für Trump in dieser Hinsicht ein grosses Vorbild sein.
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