
Auf viele Menschen wirkt das Meer ja wie eine überwältigende, launisch wogende, bedrohlich reissende Macht. Und dann gibt es Menschen, die der See verfallen sind, sie lieben und befahren und in ihren Köpfen wahrscheinlich sogar ein bisschen zähmen können. So stellt man sich das bei Carola Rackete vor, einer Menschen- und Naturfreundin aus Niedersachsen, 31 Jahre alt. Sie macht gerade in Italien Schlagzeilen.
Rackete ist Kommandantin der Sea Watch 3, des Rettungsschiffs der gleichnamigen deutschen Hilfsorganisation, die seit fünf Jahren im Mittelmeer, zwischen Libyen und Italien, nach Menschen in Not sucht und sie rettet. Als man sie einmal fragte, ob sie lieber Kapitänin oder Kapitän gerufen werde, sagte sie: «Kapitän gefällt mir besser.» Die Italiener nennen sie trotzdem «Capitana».
Seit einer Woche liegt ihr Schiff mit 43 Migranten an Bord knapp vor Lampedusa. 15 Seemeilen sind es genau, die Distanz ist entscheidend. Würde sie die Sea Watch 3 nur um einige Meilen weiter nördlich steuern, raus aus internationalen und rein in italienische Gewässer, wäre die Wahrscheinlichkeit gross, dass die Polizei auffahren und sie stoppen würde. Vielleicht würde Rackete dann verhaftet und mit einer hohen Geldstrafe gebüsst – bis 50'000 Euro.
Das Prinzip, wonach Gerettete immer in den nächstgelegenen sicheren Hafen gebracht werden müssten, kümmert Salvini nicht.
Das ist der neue Tarif für Flüchtlingsretter, festgeschrieben in einem erst kürzlich erlassenen Dekret, das ebendas zum Ziel hat: die Kriminalisierung der NGOs im Mittelmeer. Gewollt hat es Matteo Salvini, der italienische Innenminister von der rechten Lega. Er sagte auch, die Sea Watch könne von ihm aus auch bis zum Jahresende dort vor Lampedusa treiben. Und schickte dann nach: «Es gibt einen Hafen in Holland, der sie erwartet.»
Salvini meinte das nicht wörtlich. Er findet nur, dass die Sea Watch 3, die unter niederländischer Flagge kreuzt, dahin fahren soll, wo sie herkommt. Das Prinzip aus dem Seerecht, wonach Gerettete immer in den nächstgelegenen sicheren Hafen gebracht werden müssten, kümmert ihn nicht so sehr. Die «Capitana» zögert, berät sich mit dem Rechtsteam. Verliert sie das Duell mit Salvini, riskiert Sea Watch, dass ihr Schiff beschlagnahmt wird. Auch das steht im Dekret.
Ein Jahr ohne Unterbruch auf dem Meer
Es steht also viel auf dem Spiel, und Carola Rackete trägt die Verantwortung. Sie hat Nautik studiert und in Liverpool einen Master über Naturschutz gemacht, man hört es ihrem Englisch an: Es hat einen britischen Klang. Zur Seenotrettung im Mittelmeer kam sie nach jahrelanger Polar- und Meeresforschung, dazwischen fuhr sie auch für Greenpeace. Auf ihrem Profil im sozialen Netzwerk Linkedin resümiert sie ihre Erfahrungen so: «Naturschutz. Humanitäre Arbeit. Ein bisschen Polarforschung.»
Während der Ausbildung zur Schiffsführerin verbrachte sie einmal ein ganzes Jahr auf dem Meer, ohne Unterbruch. Ihr macht das nichts aus, ihren Passagieren auf der Sea Watch 3 aber schon. In einem Video, das die NGO auf Twitter verbreitete, sagt Rackete: «Die Menschen an Bord sind immer besorgter, wir müssen sie wirklich schnellstmöglich in einen sicheren Hafen bringen.» Schnellstmöglich heisst: Lampedusa. Aber Lampedusa ist zu.
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Die junge Kapitänin im Duell mit Salvini
Carola Rackete sitzt am Steuer des Rettungsschiffs Sea Watch 3 – und darf nicht in Lampedusa anlegen.