Die Kritiker setzen sich durch
Das Parlament soll nach dem Willen des Ständerats das letzte Wort zum umstrittenen UNO-Migrationspakt haben. Migrationsexperten fürchten um den Ruf der Schweiz.

«Naive Funktionäre», «unterwürfige Schweizer», «blutsaufende Diktatoren»: Schauplatz war zwar die Chambre de réflexion, aber in der Debatte zum UNO-Migrationspakt fielen harsche Aussagen. Was sich da wortreich entlud, hatte sich wochenlang angestaut. Wochenlang hatten bürgerliche Politiker auf eine Mitsprache in diesem Dossier gedrängt, das der Bundesrat zunächst ohne Diskussion im Inland ad acta legen wollte.
Der Migrationspakt soll weltweit Standards im Umgang mit Arbeitsmigranten festlegen. Er ist unter der Verhandlungsleitung der Schweiz entstanden und wird in zehn Tagen in Marrakesch verabschiedet. Doch die Zeremonie wird ohne die Schweiz stattfinden. Der Bundesrat hat letzte Woche die Notbremse gezogen, nachdem es der Migrationspakt in rasantem Tempo ganz nach oben auf die innenpolitische Agenda geschafft hatte.
Der Pakt sei ein «Wunschkonzert» der Auswanderungswilligen, monierte der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann, der per Vorstoss gefordert hatte, die Schweiz solle dem Papier nicht zustimmen. Der Pakt wolle «ein Menschenrecht auf Einwanderung» etablieren. Darum gehe es nicht, sagte Aussenminister Ignazio Cassis (FDP). Vielmehr solle die irreguläre zugunsten der regulären Migration eingedämmt werden.
Auch Philipp Müller (FDP) ärgerte sich über die Tonalität des Papiers. Migration werde darin «nur positiv als Quelle des Wohlstands» dargestellt. Auch Unrechtsstaaten unterstützten es – «das ist doch eine Farce!», rief der Aargauer. Sein Parteikollege Damian Müller betonte hingegen die Relevanz eines Pakts zur Migration, seien weltweit doch 260 Millionen Menschen betroffen. Trotzdem plädierte der Luzerner für die Annahme zweier Kommissionsmotionen, die den Bundesrat beauftragen, einen Bundesbeschluss zum Migrationspakt zuhanden des Parlaments zu erarbeiten. «Wir sind in diesem Land im Moment noch nicht so weit, dem Pakt zuzustimmen», sagte er. Eine Sichtweise, die sich durchsetzte: Der Ständerat nahm die Motionen mit 25 zu 15 Stimmen an. Germanns Vorstoss lehnte er mit 22 zu 14 Stimmen bei 4 Enthaltungen ab.
Streitpunkt «Soft Law»
Zudem beauftragt die kleine Kammer die Regierung, einen Bericht über die wachsende Bedeutung von «Soft Law» zu verfassen. Über internationale Regelungen also, die wie der Migrationspakt rechtlich nicht bindend, aber politisch verpflichtend sind. Zahlreiche Voten verdeutlichten, wie sehr sich das bürgerliche Lager daran stört, dass so zunehmend Standards etabliert werden, die mit internationalem Druck später zu Gewohnheitsrecht werden könnten.
Vergeblich verwies die Ratslinke darauf, dass dies auf den Migrationspakt nicht zutreffe. Dieser sei rechtlich eindeutig nicht bindend, sagte Daniel Jositsch (SP). Der Zürcher appellierte an das Gewissen der Gegner: «Es ist zu einfach, nur die Glückskette zu unterstützen. Hier könnten wir konkret handeln.» Und Anita Fetz (SP, BS) verwies darauf, dass es im Pakt nicht primär «um uns geht, sondern um Menschen, die in anderen Ländern ausgebeutet werden». Vertreter der CVP verwiesen zudem auf einen möglichen Reputationsschaden der Schweiz, wenn sie beim Pakt abseitsstehe.
Dieser Meinung sind auch Migrationsexperten ausserhalb des Parlaments. Christin Achermann, Professorin für Migrationsstudien an der Uni Neuenburg, sagt zwar, die Folgen eines Neins seien schwierig abzuschätzen. «Dass aber das Ansehen und die Glaubwürdigkeit in der internationalen Zusammenarbeit angeschlagen wären, ist offensichtlich – umso mehr, als die Schweiz bei der Erarbeitung eine massgebliche Rolle gespielt hat.»
«Der Ruf als glaubwürdige Partnerin würde beschädigt.»
Auch Therese Frösch, Präsidentin von Helvetas, befürchtet, dass der Schweiz international Nachteile erwachsen, wenn sie den Pakt nicht gutheisst. «Der Ruf als glaubwürdige Partnerin würde beschädigt, wenn die Schweiz von Ländern Afrikas oder Asiens erwartet, wozu sie sich selber nicht bekennen will.» Dies würde die Zusammenarbeit erschweren, glaubt Frösch. Zum einen für Organisationen wie Helvetas, die bei der Hilfe vor Ort auf die Kooperation der lokalen Regierungen angewiesen seien. Zum anderen auch für die offizielle Schweiz, die bei der Aushandlung von Rückübernahmeabkommen in Erklärungsnot käme.
Am Donnerstag wird der Nationalrat über gleichlautende Motionen seiner Kommissionen beraten. Stimmt er ihnen zu, muss der Bundesrat eine Botschaft vorlegen.
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