Die Kunstschule der Generation Twitter
Experiment an der ZHDK: Ab Herbstsemester 2016 geht der Bachelor-Studiengang Kunst & Medien neue Wege.
Herr Scheller, die traditionelle Aufteilung in unterschiedliche Vertiefungsfächer – Bildende Kunst, Fotografie, Multimedia, Theorie – wird aufgebrochen. Stattdessen wird beim Bachelor-Studiengang Kunst & Medien künftig ein spartenübergreifendes Programm geboten. Warum?
In den letzten Jahren zeigte sich, dass innerhalb der Vertiefungsfächer zunehmend multi- und transdisziplinär gearbeitet wurde. Die Studierenden beschränken sich nicht auf ein Medium, sondern experimentieren mit diversen Medien. Das entspricht der künstlerischen Praxis, wie sie derzeit weltweit zu beobachten ist. Auch die Trennung zwischen Theorie und Kunst wird poröser, da viele Kunstschaffende selbst schreiben oder Forschung betreiben, die sich nicht nur in Texten, sondern auch in Ausstellungen manifestieren kann. Deshalb haben wir ein System entwickelt, das es den Studierenden erlaubt, stärker projektbezogen zu arbeiten. Konkret bedeutet das: Wir bieten elf Praxisfelder an, zwischen denen die Studierenden ohne bürokratische Hürden wechseln können: Malerei, Zeichnen, Fotografie, Installation, Skulptur, Video/Bewegtbild, Sound, Performance, Sprache, Digitalität, Ästhetische Theoriepraxis. An der Studiendauer ändert sich nichts.
Bisher wurde traditionell unterrichtet, und die Künstler fanden trotzdem «ihren Weg», auch wenn das bedeutete, erst anderes ausprobieren zu müssen, um zu «seiner» Kunstform zu finden. Wozu also etwas ändern?
Der Unterricht ist längst nicht mehr traditionell, das ist ein Klischee, das sich hartnäckig hält. Im Vertiefungsfach Fotografie beispielsweise, die aus der traditionsreichen Fotoklasse hervorgegangen ist, wird schon seit Jahren quer durch die Medien und Sparten unterrichtet. Wir sprechen hier vom Übergang von «der» Fotografie zum «Fotografischen». Gerade das Ausprobieren, um das es im Bachelor-Studiengang ja geht, sollte man nicht strukturell behindern. Dafür werden wir auch den Technikunterricht flexibilisieren und stärker auf konkrete Projekte ausrichten, anstatt Pflicht- und Pauschalschulungen anzubieten.
Welche Erfahrungen hat man mit der neuen Methode an anderen Europäischen Kunstschulen gemacht?
Wir sind ein bisschen stolz darauf, dass unser neu organisiertes Curriculum international ziemlich einmalig ist. Die Verschränkung von elf Praxisfeldern ist in der Breite bisher einmalig. Im Zentrum des Studiums steht das Entwickeln einer eigenen Haltung, die Beschäftigung mit individuell gewählten, und zugleich zeitgenössischen Themen und Fragestellungen, kombiniert mit der Kompetenz, diese künstlerisch angemessen zu realisieren.
Ist die neue Form eine Bankrotterklärung der traditionellen Unterrichtsmethode?
Nein, sicherlich nicht. Vergleicht man das Modell der Meisterklassen, wie es etwa an deutschen Akademien gepflegt wird, mit unserem Modell, in dem sich die Studierenden an unterschiedlichen Positionen unterschiedlicher Dozenten reiben müssen, stellt man fest: Kein Modell garantiert, dass nur Starkünstler daraus hervorgehen. Kunst setzt eben Eigeninititative und Eigenverantwortung voraus. Deshalb ist uns ein Pluralismus von Angeboten wichtig. Mit dem neuen Bachelor Kunst & Medien bieten wir Raum für eine experimentelle Auseinandersetzung mit der Gegenwart durch «Kunst als Verfahren» – Kunst, die sich nicht auf den White Cube beschränkt, sondern auch in anderen Bereichen des Lebens wirksam werden kann.
Greift man auch ein, weil die Qualität der BA-Abschlussarbeiten durchzogen war?
Im Gegenteil! Aber wir kamen zu der Überzeugung, dass wir den vorhandenen Qualitäten einen geeigneteren Rahmen bieten müssen. Bei den Diplomausstellungen war es für das Publikum oft nicht mehr klar ersichtlich, aus welchen Vertiefungsfächern die jeweiligen Arbeiten eigentlich stammten.
Wie wird die Qualität künftig kontrolliert?
Kontrolle ist ein Begriff, der mit dem explorativen Charakter der Kunst nicht gut einhergeht – immerhin sind wir kein Atomkraftwerk. Statt dessen achten wir darauf, dass Ideen von Beginn eine ihnen angemessene Form finden: durch intensive Mentorierung der Arbeiten, durch Werkdiskurse, vor allem auch durch Ausstellungen und Publikationen, die bereits die Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit und entsprechenden Publikumsreaktionen beinhalten.
Fördert man mit dem spartenübergreifenden Bachelor nicht das Unvermögen der Generation Twitter, sich zu fokussieren? Springt man nicht auf den Trend auf, alles ein bisschen zu machen, aber nichts richtig?
Genau das war die wichtigste Fragestellung und Sorge bei der Neugestaltung des Curriculums. Zentral für uns ist, mit folgendem Paradoxon produktiv umzugehen: Einerseits ist heute künstlerische Praxis geprägt vom Arbeiten in und mit unterschiedlichen Medien, Materialien und Diskursen. Andererseits wollen wir, dass die Studierenden sich auf diese vertieft einlassen. Deswegen wählen die Studierenden im Bachelor auch nur ein bis maximal drei Praxisfelder aus, die sie vertieft studieren. Sprich, wir verfechten kein «Anything Goes», sondern fokussieren auf «some things», die jedoch nicht isoliert voneinander existieren, sondern immer in Wechselbeziehungen stehen. Einzigartigkeit und Vernetzung schliessen einander nicht aus. Dahingehend habe ich wenig Sorge um die Generation Twitter. Der Soziologe Christoph Kucklick argumentiert, dass die neuen Medien nicht zwingend zur Gleichförmigkeit beitragen. Sie können vielmehr zu neuen, weniger idealistisch-romantischen Formen des Einzigartigen beitragen.
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