Die letzte Ehre der Israa G.
Eine 21-Jährige wird getötet, weil sie den falschen Mann liebt. Nun hat die Staatsanwaltschaft in Palästina zum ersten Mal Anklagen nach einem «Ehrenmord» erhoben.

Israa Ghrayeb hatte sich verliebt. Und sie machte kein Geheimnis daraus, in den sozialen Medien postete die 21-jährige Palästinenserin ein Video von sich und dem Mann, der um ihre Hand angehalten hatte. Es war aber ein Mann, mit dem ihre Familie nicht einverstanden war. Israa Ghrayeb ist deswegen nicht mehr am Leben, ihr eigener Bruder hat sie getötet, im Auftrag des Vaters. Der Bruder erklärte den Behörden, die Ehre der Familie sei geschändet worden, weil sich die Schwester vor einer Hochzeit mit diesem Mann in der Öffentlichkeit gezeigt habe.
Zum ersten Mal hat nun die Staatsanwaltschaft in den palästinensischen Gebieten Anklagen nach einem «Ehrenmord» erhoben. Generalstaatsanwalt Akram al-Khatib machte drei Familienmitglieder für den Tod der jungen Frau Ende August verantwortlich. Sie sei «zu Tode geprügelt» worden. Davor sei sie «Folter und Missbrauch» durch Familienmitglieder und Verwandte ausgesetzt gewesen, sie hätte körperliche und psychische Schäden davongetragen.
Der Tod der jungen Frau aus Beit Sahour, die in Bethlehem Englisch studierte und als Kosmetikerin arbeitete, hatte in Ramallah mehr als 200 Menschen auf die Strasse getrieben, keine Grossdemonstration, aber der bisher grösste Protest gegen häusliche Gewalt in der Stadt. Der Fall hatte auch in den sozialen Medien für Aufsehen gesorgt, weil Israa Ghrayeb dort nicht nur ihre Liebesgeschichte veröffentlicht hatte, sondern nach den ersten Attacken auch über ihren Zustand schrieb.
Mindestens 19 Frauen sollen bei «Ehrenmorden» umgebracht worden sein
Nach übereinstimmenden Berichten hatte der Vater – nachdem seine Tochter das Video veröffentlicht hatte -, Hinweise von Verwandten bekommen und daraufhin die Schläge angeordnet. Anfang August wurde Ghrayeb zum ersten Mal mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Dann folgten weitere Attacken. Auf der Flucht vor den Angreifern rannte sie auf den Balkon und sprang in die Tiefe. Sie wurde an der Wirbelsäule schwer verletzt, hatte aber nach Angaben des Staatsanwalts schon zuvor schwere Prellungen und Frakturen erlitten.
Aus dem Krankenhaus setzte sie auf Instagram ihre letzte Botschaft ab: «Ich bin stark und habe einen Willen, und wenn ich den Willen nicht hätte, dann wäre ich gestern schon gestorben. Möge Gott der Richter sein über jene, die mich unterdrückt und verletzt haben. » Sie bat um gute Wünsche für eine erfolgreiche Operation. Aber dazu kam es nicht mehr. Offenbar verärgert über diese Zeilen sollen Verwandte sie im Krankenhaus abermals so schwer geschlagen haben, dass ihr Tod eintrat. Ihre Schreie hörte zwar eine Krankenschwester, traute sich aber nicht, einzugreifen. Eine Aufnahme von Ghrayebs verzweifelten Rufen kursierte anschliessend in den sozialen Medien.
Der Fall hat eine breite Debatte ausgelöst. Erstmals wird nun das Tabuthema häusliche Gewalt in den palästinensischen Gebieten öffentlich diskutiert. Mindestens 19 Frauen sollen in diesem Jahr in Zusammenhang mit «Ehrenmorden» bereits umgebracht worden sein. Nach Angaben des palästinensischen Zentrums für Menschenrechte und Demokratie haben die Diskussionen dazu geführt, dass auch Politiker der regierenden Fatah zum ersten Mal häusliche Gewalt öffentlich verurteilt haben. Ausserdem wird geprüft, einen eigenen Tatbestand im Strafgesetzbuch einzuführen. Viele Palästinenser äusserten ihre Empörung und Trauer über die Ermordung Ghrayebs auch im Internet. Ein Hashtag setzte sich dabei durch: #WeAreAllIsraa.
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