Zürichs 2030: Auto oder Velo?«Die Linken sind gegen Autos» – «Die Linken, die Linken – argumentiere mal differenzierter!»
Ist Zürich in zehn Jahren autofrei? Juso-Präsident Nicola Siegrist wünscht sich das, Oguz Bayindir von den Jungfreisinnigen hat eine andere Meinung. Das Streitgespräch.

Fahren 2030 in der Stadt Zürich noch Autos, Herr Siegrist?
Nicola Siegrist: Innerhalb der Stadt ist das Auto ein enorm ineffizientes Verkehrsmittel. Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der ein Auto braucht. Zum Beispiel Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder auch für Warentransporte. Aber für den Grossteil der Bevölkerung ist der ÖV oder das Velo die bessere Option. Wenn es nach mir gehen würde, dann würde man den Autoanteil in dieser Stadt in den nächsten Jahren deutlich senken.
Wie sehen Sie das Jahr 2030, Herr Bayindir? Fahren dann noch Autos?
Oguz Bayindir: Der öffentliche Raum in Zürich ist begrenzt, und es gibt viele kollidierende Mobilitätsinteressen. Der ÖV ist heute das Rückgrat unserer Mobilität und wird es auch in Zukunft bleiben. Daneben werden der Fuss- und der Veloverkehr eine bedeutende Rolle einnehmen. Zuletzt wird sicherlich auch ein Teil Individualverkehr weiterbestehen müssen.

Herr Bayindir, können Sie eigentlich Auto fahren?
Bayindir: Ja, seit Oktober. Als Stadtzürcher brauche ich jedoch äusserst selten ein Auto. Was ich schätze, ist das flexible Angebot von Mobility.
«Es braucht ein Miteinander, nicht ein Gegeneinander.»
In bürgerlichen Kreisen hört man häufig von der ideologischen Bekämpfung einzelner Verkehrsmittel. Inwiefern findet eine solche in Zürich statt?
Bayindir: Beispielsweise werden in den Quartieren aus ideologischen Gründen en masse Parkplätze abgebaut. Dabei werden sie nicht zwingend durch Sinnvolles ersetzt. Zudem soll nun generell Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen eingeführt werden. Das bremst Tram und Bus aus und macht den ÖV weniger attraktiv. Eine solche autofeindliche Politik ist vollkommen verfehlt. Wir müssen nicht zwingend gegen das Auto sein, um die anderen Verkehrsträger zu stärken. Es braucht ein Miteinander, nicht ein Gegeneinander.
Siegrist: In den ersten drei Sätzen lässt du raus, was man immer eins zu eins von jedem Freisinnigen oder Jungfreisinnigen hört. Mir gefällt die Formulierung vom Anfang: Es gibt Interessenkonflikte innerhalb einer Stadt mit begrenztem Raum. Das Problem ist die heutige Verteilung des Platzes auf die einzelnen Verkehrsträger. Das Auto erhält mit Abstand am meisten Platz. Da wird schnell klar, woher wir den Platz nehmen müssen, um die anderen Verkehrsträger zu stärken.
Herr Siegrist, Sie haben sehr viel über Autos gesagt, können Sie eigentlich Auto fahren?
Siegrist: Können ja, dürfen nein.
Warum dürfen Sie nicht?
Siegrist: Ich habe kein Billett.
«Was soll gelten: ‹Freie Fahrt für freie Bürger› im Sinne der 70er-Jahre oder priorisieren wir andere Mobilitätsbedürfnisse und stellen den MIV an die letzte Stelle?»
Warum nicht?
Siegrist: Ich habe fast mein ganzes Leben in der Stadt gewohnt, und meine Eltern hatten nie ein Auto. Deswegen war es auch nie nötig. Trotzdem wünsche ich mir manchmal, dass ich es einmal gelernt hätte. Es wäre praktisch, Auto fahren zu können.

Sie plädieren für eine autofreie Stadt. Was für Vorteile erhoffen Sie sich, abgesehen vom Klima?
Siegrist: Die Frage ist: Welche Stadt stellen wir uns vor, und welche Teile einer Stadt finden wir schön? Ich finde nicht – und ich hoffe, Sie auch nicht – die Durchfahrstrassen beim Sihlhölzli und bei der Hardbrücke schön. Die schönen Teile der Stadt sind …
Bayindir: (fällt ins Wort) Eine Stadt muss gewisse Mobilitätsbedürfnisse befriedigen können …
Siegrist: (fällt ins Wort) Aber es ist grundsätzlich mal die Frage, was wir für eine Vision haben. Ich habe die Vision einer lebenswerten Stadt. Selbstverständlich sind Mobilitätsbedürfnisse Teil einer Stadt. Daneben braucht es aber auch Aufenthaltsräume, die zum Verweilen einladen und angenehm sind. Dafür muss die Stadt autoarm werden, nicht unbedingt autofrei – denn ohne Gewerbeverkehr oder Busse geht es nicht. Was soll gelten: «Freie Fahrt für freie Bürger» im Sinne der 70er-Jahre oder priorisieren wir andere Mobilitätsbedürfnisse und stellen den MIV an die letzte Stelle?
Bayindir: Wir brauchen verkehrsberuhigte Strassen in unseren Quartieren. Das erreichen wir mit einer Kombination von 30er-Zonen, Begegnungszonen und intelligenter Strassengestaltung. Gleichzeitig benötigen wir leistungsfähige Hauptverkehrsachsen für das Gewerbe oder Menschen, die nicht auf den ÖV umsteigen können. Mit Tempo 50 auf Hauptverkehrsachsen bieten Tram und Bus weiterhin kurze Reisezeiten, und der ÖV bleibt für die Bevölkerung attraktiv. So lassen die meisten ihr Auto bereits aus eigenem Willen zu Hause stehen.

Sie fordern also definitiv kein autofreies Zürich, Herr Bayindir?
Bayindir: Wir bewirken kein Umdenken bei der Bevölkerung mit der Schwächung der Autoinfrastruktur. Stattdessen braucht es die Verbesserung der Alternativen zum Auto wie des ÖV oder des Fuss- und Veloverkehrs.
Siegrist: Aber das sagt ihr, nachdem ihr jahrelang alles in diese Richtung bekämpft habt. Dazu gehört unter anderem unsere Velorouteninitiative.
Bayindir: Wir unterstützen zahlreiche Ausbauprojekte für den öffentlichen Verkehr, und darauf bin ich stolz. Wir sind eine ÖV-Partei.
Siegrist: (provozierend) Das habt ihr wiederentdeckt, da ihr mit der Tempo-30-Geschichte Wählende findet.
Bietet die Elektromobilität eine Lösung für die Stadt Zürich?
Siegrist: Wir haben hier zwei Schienen: die Klimaproblematik und die Verkehrsproblematik. Wir brauchen netto null im Autoverkehr. Das hat sich auch die SP Stadt Zürich bis 2035 als Ziel gesetzt. Damit verschärft sich aber leider die Verkehrsproblematik teilweise. Denn Elektroautofahrer fühlen sich weniger schlecht, wenn sie mit grösseren Fahrzeugen fahren. Darum gibt es immer mehr E-SUV auf dem Markt. Deshalb habe ich gegenüber der E-Mobilität eine gewisse Skepsis.
Bayindir: Elektroautos sind bezüglich Lärm und Verschmutzung eine massive Verbesserung für das Stadtleben und stossen bei der Fahrt keine Treibhausgase aus. Im Zürich der Zukunft wird ein Anteil Individualverkehr übrig bleiben – dieser soll umwelt- und stadtverträglich sein. Leider haben die rot-grünen Parteien E-Ladestationen für Parkplätze auf öffentlichem Grund in der Stadt Zürich wiederholt abgelehnt.
Siegrist: (angeregt) Ich will keine Stadt, die den öffentlichen Grund zur Verfügung stellt, dass jemand da seinen 2-Tönner abstellen kann. Eine solche Subvention ist falsch, egal ob für Elektro oder Benziner.
Bayindir: (provozierend) Du beweist gerade, dass Rot-Grün gegen Individualverkehr kämpft – unabhängig vom Lärm oder von der Verschmutzung. Die Linken sind gegen Autos …
Siegrist: (fällt ins Wort und wütend) Die Linken, die Linken – argumentiere mal differenzierter!

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