Die Mehrheit glaubt an schmutzige Tricks
Die meisten Franzosen halten Dominique Strauss-Kahn für das Opfer eines politischen Komplotts. Der skeptische Reflex ist alt – und oft auch angebracht.
Ermittlungen gegen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn Von Oliver Meiler, Marseille Sexskandal oder Politverschwörung? In der ersten Umfrage, die französische Medien zur Affäre um Dominique Strauss-Kahn in Auftrag gegeben hatten, äusserte sich eine Mehrheit der Befragten skeptisch über die Anklage gegen den Chef des Internationalen Währungsfonds: 57 Prozent sind gar «sehr» oder «ziemlich stark» davon überzeugt, dass DSK das Opfer eines Komplotts sei. Nur 14 Prozent halten diese These für «total unwahrscheinlich» und 18 Prozent als «wenig wahrscheinlich». 11 Prozent wollten sich nicht äussern. In der Frage war nicht präzisiert, um welche Art von Komplott es sich handeln könnte. Einige Ungereimtheiten Unter linken Skeptikern ist der Verdacht gross, die politischen Gegner des Sozialisten hätten diesen zur Strecke bringen wollen: Strauss-Kahn schickte sich an, seine Ambition auf die französische Präsidentschaft kundzutun und 2012 Amtsinhaber Nicolas Sarkozy herauszufordern. Eine andere vage Mutmassung besagt, obskure nicht europäische Mächte hätten sich des angeblich allzu proeuropäischen Schuldenpolitikers und IWF-Patrons mit dem Andrehen einer Affäre entledigen wollen. Freilich, konkrete Indizien gibt es für keine dieser Thesen. Doch solange Aussage gegen Aussage steht, die DNA-Analysen noch nicht bekannt sind und einige Ungereimtheiten die Darstellung des Tathergangs durch die New Yorker Polizei säumen, blühen abenteuerliche Interpretationen. Zumal in Frankreich. Die Franzosen sind chronische Zweifler. Es ist wohl kein Zufall, dass der grosse Theoretiker des methodischen Zweifelns, René Descartes (1596–1650), Franzose war. «Info ou intox?» – diese Frage stellen die Franzosen oft und gerne und auf allen Gebieten, vor allem aber in der Politik: «Wahr oder falsch?» Im Begriff «intox» (kurz für Vergiftung) schwingt auch schon der Verdacht mit, man wolle die Öffentlichkeit mit Falschinformationen gezielt hinters Licht führen. Mit «man» ist dann meistens ein Klüngel aus Medien, Wirtschaft und Politik gemeint, der sich beim Staat bediene und sich zum Selbsterhalt auch mit schmutzigen Tricks zu helfen wisse. Strauss-Kahns Vorahnungen Die Franzosen sind allergisch gegen diese Grauzone, gegen die Welt der «intox». Sie wird regelmässig genährt von suspekt günstigen Gerichtsentscheiden für die Elite, Geheimdienstoperationen im angeblichen Dienst der Staatsräson und von der chronischen Recherchierträgheit mancher konventioneller Medien. Das erklärt auch den weltweit einzigartigen Erfolg einer Wochenzeitung wie «Le Canard enchaîné» (Auflage: 700 000) – acht bewusst altmodisch gestaltete Seiten mit Satire und Enthüllungen –, die diesen Klüngel regelmässig zerpflückt und dessen Machenschaften offenlegt. Der «Canard» wirkt wie ein Katalysator für die zweifelnden Franzosen. Sie wissen um die harten Bandagen im politischen Geschäft, gerade vor der «Mutter aller Wahlen» – der Präsidentschaftswahl. Da kann alles passieren. Das wusste auch Strauss-Kahn, und er gab sich besorgt. In einem Gespräch mit einem Journalisten von «Libération» vor einigen Wochen sagte er, dass er nicht überrascht wäre, wenn man ihm eine Vergewaltigungsgeschichte anhängen könnte: Dass eine Frau auftrete, wie er es darstellte, «der man 500 000 oder eine Million Euro verspricht», damit sie eine Vergewaltigung in einer Parkgarage erfinde. Eine verstörende Prognose am 28. April 2011 – zwei Wochen vor seiner Festnahme.Gezweifelt wird auch deshalb, weil die Geschichte wie eine Karikatur dessen anmutet, was man DSK im allerschlimmsten Fall zugetraut hätte: Doch kann es sein, fragen viele Franzosen, dass der brillante Kopf tatsächlich über seine allseits und seit langem bekannte Schwäche stolpert? Und zwar nicht als charmanter Frauenheld, sondern als Vergewaltiger einer jungen Hotelangestellten aus der Bronx – so kurz vor seinem Sprung in den französischen Wahlkampf? Ist diese Story nicht zu «dick»? Geithner wird ungeduldig Andere halten sich nicht mit Zweifeln an der Sittenaffäre auf – vornehmlich ausserhalb Frankreichs. US-Finanzminister Timothy Geithner zum Beispiel fürchtet um die Funktionstüchtigkeit des IWF und forderte die Institution auf, schnell einen Interimschef zu benennen. Strauss-Kahn sei nicht in der Lage, den IWF zu leiten, sagte er. Das ist sicher wahr. DSK sitzt in einer kleinen Einzelzelle auf Rikers Island, 12 Quadratmeter – ohne Schnürsenkel an seinen Schuhen. Die Direktion des Gefängnisses beobachtet ihn rund um die Uhr, weil sie meint, der illustre Insasse sei suizidgefährdet. Tatort oder nicht? Zimmer 2806 des New Yorker Hotels Sofitel. Foto: Jewel Samad (AFP) Video – Affäre Strauss-KahniPhone: Tagi-App auf TA+Mobile: SMS mit Text Plus an 4488
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