Die modernen Nomaden wollen keine Deutschkurse besuchen
Jung, ungebunden und bestens qualifiziert – Zürich sieht sich mit neuen Zuwanderern konfrontiert. Viele bleiben nur kurz und haben wenig Interesse, sich zu integrieren.
Kann die Stadt Zürich einen amerikanischen Manager dazu anhalten, einen Deutschkurs für Fremdsprachige zu besuchen? «Das würde einen Aufschrei geben», prophezeite Janine Dahinden, Professorin für soziale und transnationale Studien an der Universität Neuenburg. Aber: «Weshalb sollen für Manager andere Regeln gelten als für weniger qualifizierte Migranten? Und was bringt es, wenn sich der Staat der Manager annimmt?»
Genau mit diesen Fragen wird sich die Stadt in Zukunft beschäftigen müssen, wie eine Tagung ihrer Integrationsförderung gestern zeigte. Längst kommt das Gros der Zuwanderer nicht mehr aus dem Süden Europas – die grösste Gruppe stellten 2007 die Deutschen, die zweitgrösste die Inder. Insbesondere gegenüber den Deutschen zeigten Einheimische aber immer stärkere Ressentiments, sagte Christof Meier, Leiter der Integrationsförderung. Man müsse sich deshalb mit diesem Thema auseinandersetzen. «Aber es ist absurd: Bis heute sagten wir den Migranten: Lernt Deutsch! Und jetzt kommen Migranten, die besser Deutsch sprechen als wir, und es ist trotzdem nicht recht.»
Inder bevorzugen Seebach
Dank den Zahlen von Statistik Stadt Zürich weiss die Stadt einiges über die neuen Zuwanderer: Die Mehrheit ist zwischen 20 und 35 Jahre alt, kinderlos und kommt direkt aus dem Ausland. Die Hälfte verfügt über eine Aufenthaltsbewilligung von weniger als einem Jahr. Die Zuwanderer bevorzugen je nach Herkunft andere Quartiere: die Deutschen Seefeld, Zürichberg und Zürich-West, die Inder Seebach und Altstetten – und die Italiener solche, wo sie auf möglichst wenige andere Italiener treffen. Bei den Indern handelt es sich fast durchwegs um Hochqualifizierte, nicht aber bei den Deutschen: Vor allem Ostdeutsche arbeiten nicht selten unter prekären Bedingungen und wohnen zu viert in einer Baracke oder einem Hotelzimmer.
Hochqualifizierte, die für begrenzte Zeit bleiben, lassen sich aber nur schwer integrieren, wie Walter Schmid, Rektor der Luzerner Hochschule für Soziale Arbeit, sagte. Diese «Hors-sol-Menschen» wollten sich nicht lokal verankern. «Ihre Arbeit gleicht manchmal jener auf einer Ölplattform. Unter der Woche arbeiten sie hart, und am Wochenende werden sie für den Heimaturlaub ausgeflogen.» Statt sich lokal zu engagieren, pflegen sie Kontakte in internationalen Netzwerken. Sie definieren sich weniger über ihre Nationalität, sondern über ihren Beruf, ihre Bildung oder anderes. Der Staat ist allerdings nicht in einer Position, in der er Forderungen an Hochqualifizierte stellen kann – sie haben viele Möglichkeiten, und der Wettbewerb um die besten Köpfe ist weltweit gross.
Janine Dahinden betrachtete die aktuelle Situation auch als Chance, den Integrationsbegriff, der stark vom Zeitgeist geprägt ist, zu überdenken. Laut Schweizer Ausländergesetz müssen sich Zuzüger in den Arbeitsmarkt und ins gesellschaftliche Umfeld integrieren. Schmid meinte: «Vielleicht müssen auch wir uns in die transnationale Weltgesellschaft integrieren.»
Englisch gewinnt in Zürich an Boden
Wie geht es weiter? Dass Einheimische und Zuwanderer aus Deutschland respektvoll zusammenleben, ist eine der grossen gesellschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahre, glaubt Christof Meier. Die Zuwanderung aus EU und Efta stabilisiert sich seiner Einschätzung nach auf hohem Niveau. Die Parallelgesellschaft der Englischsprachigen wächst weiter, und ihre Sprache gewinnt in Zürich zusätzlich an Bedeutung. «Viele Personen aus dem Ausland bleiben aber auch hier hängen», meinte Meier. Seiner Ansicht nach bilden sie ein grosses Potenzial, das Zürich nutzen muss. Wenn es nicht gelinge, die Zuwanderer für ehrenamtliche Arbeit in Vereinen oder Institutionen zu gewinnen, gerate das Milizsystem in eine grosse Krise.
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