Rang 5 im WM-ZeitfahrenEs geht für Küng noch bitterer als in Tokio
Der Thurgauer will in Flandern Zeitfahrweltmeister werden. Doch er kassiert eine deutliche Niederlage, derweil die anderen Favoriten abliefern.

Die Frage stellt ihm in diesem Moment niemand. Zu konsterniert ist Stefan Küng, nachdem er das Ziel in Brügge erreicht hat. Angetreten ist er, um um den WM-Titel zu kämpfen «oder zumindest eine Medaille zu holen», wie er nun seine minimale Erwartung an das Rennen formuliert. Doch auch daraus wird nichts. Stattdessen wird es Rang 5, 67 Sekunden hinter dem alten und neuen Weltmeister Filippo Ganna.
Die Frage an Küng wäre gewesen: War es wider Erwarten nach jener von Tokio doch möglich, die Bitterkeit einer Niederlage noch einmal zu steigern? In Japan hatte er nach einem sehr starken Olympia-Zeitfahren Bronze um 4 Zehntel und Silber um 3 Sekunden verpasst.
Und dann das: 67 Sekunden Rückstand
Seither war der EM-Titel dazugekommen und damit einhergehend eine riesige Portion Selbstvertrauen. Schliesslich hatte Küng im Südtirol auch Ganna bezwungen. Entsprechend glaubte er sich in der Lage, in Flandern, auf diesem topfebenen WM-Parcours, Gold angreifen zu können.
Und dann das: 67 Sekunden Rückstand auf den Weltmeister ist viel, sehr viel. Vor allem gilt das auch für die 23 Sekunden auf Bronze.
Die Medaillen gewinnen Ganna, dem wie so oft eine brillante Steigerungsfahrt gelingt, bei der er unterwegs noch zurückliegt und erst zum Ziel hin ganz aufdreht. Dahinter folgt wie in Imola vor einem Jahr Wout van Aert, der überragende Alleskönner, Rang 3 geht an Van Aerts hochgelobten Landsmann Remco Evenepoel, der nach EM- auch WM-Bronze holt. Die beiden belgischen Medaillen trösten das Heimpublikum auch über Van Aerts nur um 6 Sekunden verpasste Goldmedaille hinweg.

Es sind also keine Zufallsfahrer, die die Medaillen abholen. Es ist einfach nicht Küng. Dieser wirkt im Ziel ziemlich ratlos. Derweil Rang 1 und 2 die gleichen Fahrer wie vor einem Jahr belegen, liegt er zwei Plätze weiter hinten, hat sein Level bei den Welttitelkämpfen also nicht gehalten, von der erhofften Steigerung ganz zu schweigen.
Mit leerem Blick sagt er: «Im Moment ist das Enttäuschung und Frust. Ich hatte andere Hoffnungen und Ziele.» Ihm, dem sonst so eloquenten Interviewpartner, fehlen die Worte, weil er sich diese Niederlage schlicht nicht erklären kann.
«Stefan zeigte eine gute, fehlerlose Leistung. Nur fuhren diejenigen vorn einfach noch viel schneller.»
Unterwegs brachte er jene Leistung, die er sich vorgenommen hatte. Genau wie geplant versuchte er ab Streckenhälfte aufzudrehen. «Doch nach der zweiten Zwischenzeit hörte ich erstmals, dass ich hinter Evenepoel zurücklag. Das überraschte mich, weil ich in dem Moment ja meinen Effort erhöht hatte.» Dann fügt er an: «Ich traf heute einfach auf Stärkere.» So lautet auch das Kurzfazit seines Trainers Julien Pinot, der sagt: «Stefan zeigte eine gute, fehlerlose Leistung. Nur fuhren diejenigen vorn einfach noch viel schneller.»
Das scheint die Krux in Küngs Karriere zu sein: Er hat sich zu einem sehr konstanten Zeitfahrer entwickelt, der seine Leistung regelmässig bringt. Allerdings passiert es oft, dass sich einer findet, der noch etwas geschmeidiger über den Parcours fliegt als die Konkurrenz – Küng inklusive.
So war es in diesem Jahr an der Tour de France, als Küng ein brillantes Zeitfahren zeigte – und chancenlos war gegen Gesamtleader Pogacar. So war es im Frühling am Tirreno–Adriatico, als er zwar Ganna bezwang – stattdessen aber von Van Aert um den Sieg gebracht wurde. Und so war es eben auch in Tokio, als Küng auf einem Parcours, der für ihn eigentlich zu schwer war, höchst konkurrenzfähig war, Silber und Bronze jedoch hauchdünn verpasste.
Ein Grosser tritt ab
Jene 4 Zehntel Rückstand von Tokio hatten Küng nach seiner Rückkehr aus Asien angetrieben. Aber erst nachdem er zehn Tage lang vom Velo Abstand genommen hatte, um die Niederlage zu verarbeiten. So viel Zeit bleibt ihm nun nicht. Am Mittwoch steht die noch junge Disziplin Mixed-Staffel mit je drei Frauen und Männern an.
Swiss Cycling hat dafür neben Küng auch Stefan Bissegger vorgesehen, der bei seinem Elite-WM-Debüt zwei Plätze hinter Küng landete – und das sehr entspannt nahm: «Heute reichte es nicht, das nächste Mal dann vielleicht doch.» Zwischen den Schweizern klassierte sich der vierfache Zeitfahrweltmeister Tony Martin. Auch er wird am Mittwoch antreten, für Deutschland: Es wird, wie er am Sonntag bekannt gab, das letzte Rennen in der Karriere des 36-Jährigen sein.
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