Die Odyssee der Florence Cassez
Ihr Schicksal bewegt ganz Frankreich: Nach sieben Jahren Haft in Mexiko kommt Florence Cassez frei – für die 38-Jährige geht eine schmerzhafte Odyssee zu Ende.
Nach rund sieben Jahren in einem mexikanischen Gefängnis ist die Französin Florence Cassez in ihr Heimatland zurückgekehrt. Die 38-Jährige landete am frühen Nachmittag zusammen mit ihrem Vater mit einer Air-France-Maschine am Flughafen Roissy-Charles-de-Gaulle bei Paris. Lächelnd winkte sie ihren Unterstützern zu, die sie am Flughafen erwarteten. Die Ankunft von Cassez, die nach einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes von Mexiko gestern aus dem Gefängnis entlassen worden war, war von einem riesigen Medienrummel begleitet.
Der Fall Florence Cassez wurde in Frankreich zur Staatsaffäre und belastete die Beziehungen zu Mexiko – nun ist die Französin frei, zur grossen Freude ihrer Familie und von Präsident François Hollande, der am Mittwochabend vom «Ende einer äusserst schmerzhaften Zeit» sprach.
Selfmadefrau oder Entführerin?
Die Odyssee der mittlerweile 38-jährigen Frau beginnt 2005 während eines Mexiko-Aufenthalts. Auf dem Weg zu ihrer Wohnung wird sie von der Polizei festgenommen. Der Vorwurf: Beihilfe zur Entführung.
In einem im Gefängnis verfassten Buch berichtet Florence Cassez über ihr Schicksal. Die Tochter eines Unternehmers und einer Juristin wurde 1974 im nordfranzösischen Lille geboren. Mit 16 verlässt sie die Schule. «Das Schulsystem war nichts für mich. Ich war zu ungeduldig, zu impulsiv, die Kurse interessierten mich nicht», schreibt sie.
Sie beginnt zu jobben und arbeitet sich in einem Haushaltsgeschäft bis zur Filialleiterin hoch. «Ich war 27 und hatte 27 Verkäuferinnen unter mir», zitiert sie «Le Point». Kurz darauf kündigt sie und reist 2003 nach Mexiko zu ihrem Bruder, der dort eine Firma betreibt. Über ihn lernt sie auch den Mann kennen, der ihr zum Verhängnis werden wird: den Mexikaner Israel Vallarta Cisneros. Cassez verliebt sich in den angeblichen Autohändler, zieht auf seine Ranch, stellt ihn sogar ihren Eltern vor.
Inszenierte Festnahme
Doch bald beginnt die Beziehung zu kriseln. Cassez kehrt nach Frankreich zurück, findet keine Arbeit, reist wieder nach Mexiko, zieht zu Vallarta Cisneros. «Wir trafen eine Vereinbarung: Ich wohne bei ihm, aber in einem separaten Zimmer», zitiert «Le Point». Kurz darauf findet Cassez eine eigene Wohnung und einen Job in einem Hotel. Als sie im Dezember 2005 bei Cisneros persönliche Sachen abholen will, wird sie in der Nähe von Mexiko-Stadt von der Polizei festgenommen. Florence Cassez wird vorgeworfen, an Entführungen beteiligt gewesen zu sein, ihr ehemaliger Freund soll der Gangsterbande Los Zodiacos angehört haben.
Kurz darauf wird Cassez' Festnahme von der mexikanischen Polizei als Befreiungsaktion von Entführungsopfern inszeniert und auf zwei Fernsehsendern ausgestrahlt. Die mexikanischen Behörden geben später zu, die Szene für die Medien nachgestellt zu haben.
2008 wird Cassez zu 96 Jahren Haft verurteilt. Ein Jahr später wird die Strafe auf 60 Jahre reduziert. Ihre Lage scheint aussichtslos, bis im März 2012 ein 145-seitiger Bericht veröffentlicht wird, in dem der Richter Arturo Zaldívar Lelo de Larrea auf verschiedene Unregelmässigkeiten und gefälschte Beweise aufmerksam macht und Cassez' «sofortige Freilassung» fordert.
Freilassung nicht unumstritten
Am Mittwoch hob das oberste Gericht in Mexiko-Stadt das Urteil gegen die 38-Jährige auf. Florence Cassez befindet sich bereits auf dem Heimweg nach Frankreich – zur grossen Freude ihrer Eltern. «Ich verspüre keine Wut mehr. Florence ist mit schlechten Menschen in Kontakt gekommen, das sollte man nicht verallgemeinern», zitiert «Le Figaro» Florence Cassez' Mutter Charlotte. Sie sei «ausser sich vor Freude».
In Mexiko sieht man den Entscheid über Cassez' Freilassung weit kritischer als in Frankreich: Mit dem neuen Urteil würden «der Straflosigkeit die Tore geöffnet», sagte die Vorsitzende der Gruppe Alto al Secuestro (Stopp den Entführungen), Isabel Miranda de Wallace. Als im März 2012 in einem Bericht Cassez' sofortige Freilassung verlangt wurde, kam es in Mexiko zu Demonstrationen, Cassez' Unschuld wird weiterhin angezweifelt. «Dieser französische Akzent klingt noch immer in meinen Ohren», schrieb das Entführungsopfer Cristina Ríos Valladares 2008 in einem offenen Brief.
Florence Cassez soll am Donnerstag gegen 14 Uhr in Paris eintreffen. Ihr Ex-Freund Israel Vallarta Cisneros sitzt noch immer in Sicherheitshaft. Er beteuert bis heute, Cassez habe nichts von den Entführungen gewusst.
(cor)
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